Zuerst viel Lärm, dann viel Placebo statt Taten

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Artikel
Verfasst durch Daniel Lampart, SGB-Chefökonom

Der Bundesrat lamentiert über die Personenfreizügigkeit und orakelt über deren Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit. Dabei verschweigt er: Keine Zeile in den bilateralen Abkommen verbietet ihm, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Aber er setzt lieber auf Placebo.

Monat für Monat sind in der Schweiz 5000 Personen mehr arbeitslos. 2010 werden die über 200'000 Arbeitslose zählen. So viele wie noch nie. Während sich die Schweiz vor 20 Jahren durch eine in internationalen Vergleich sehr tiefe Arbeitslosigkeit auszeichnete, droht sie jetzt immer mehr ins Mittelfeld abzurutschen. Mehrere Länder wie z.B. Dänemark oder die Niederlande stehen mittlerweile besser da.

Das Problem ist hausgemacht. Eine schlechte Konjunkturpolitik in den 1990er Jahren hat zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Bis Ende der 1990er Jahre wurden gegen 300'000 Personen ausgesteuert. Ein grosser Teil von ihnen hat nie mehr in den Erwerbsprozess zurückgefunden. Ein weiterer Teil pendelt zwischen prekären Jobs und Arbeitslosigkeit hin und her. Seit Beginn des neuen Jahrtausends werden zudem die Sozialleistungen verschlechtert. Die Erhöhung des Frauenrentenalters und die verschärfte IV-Praxis führen dazu, dass heute rund 50'000 Personen mehr einen Job brauchen als Ende der 1990er Jahre. Das erschwert die Arbeitsplatzchancen der NeueinsteigerInnen und führt zu einer Verlagerung von AHV und IV zur ALV. 

Logik von rechts verschärft Probleme 

In den letzten Wochen wurde von Rechts vor allem die Personenfreizügigkeit als Treiber der Arbeitslosigkeit bezeichnet. Die SVP verlangt die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens. Positiv daran: nun ist auch bis weit nach politisch rechts aussen anerkannt, dass die Schweiz ein grösseres Problem mit der Arbeitslosigkeit hat. Doch folgt die Schweizer Arbeitsmarktpolitik der Logik von rechts, wird sich das Problem der Arbeitslosigkeit weiter verschärfen. Wird die Personenfreizügigkeit gekündigt, fallen alle Bilateralen I weg, der Vollzug des Freihandelsabkommens wird erschwert. Darunter würde insbesondere die Exportindustrie leiden, die bereits heute stark von der Krise betroffen ist. Gleichzeitig verhindert die Diskussion über die Zuwanderung, dass andere, wirksame Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit vorangetrieben werden wie z.B. eine Stärkung der Kaufkraft, eine Weiterbildungsoffensive oder eine Verlängerung der Taggelder. Symptomatisch ist die Mitteilung des Bundesrates vom vergangenen Freitag, dass er im Frühjahr 2010 die Anrufung der Ventilklausel prüfen werde. Das ist reines Placebo, das nichts nützt. Denn weil es in der Schweiz weniger Arbeit gibt, geht die Einwanderung so stark zurück, dass der Begrenzungswert der Ventilklausel gar nicht erreicht werden wird. 

Flankierende Massnahmen griffiger gestalten

Um negative Auswirkungen der Personenfreizügigkeit zu verhindern, haben die Gewerkschaften die flankierenden Massnahmen durchgesetzt. Müssen Arbeitgeber den Arbeitskräften aus der EU den gleichen Lohn bezahlen wie denjenigen aus der Schweiz, werden sie InländerInnen einstellen. Die Umsetzung der flankierenden Massnahmen hat sich zwar verbessert. Doch gibt es nach wie vor bedeutende Lücken. Ein Problem ist die Sanktionierung von dumpenden Firmen. Verstösse gegen Normalarbeitsverträge (NAV) werden nur auf Zivilklage hin gebüsst. Und die Durchsetzung der Sanktionen im Ausland sowie gegen Subunternehmer ist nach wie vor schwierig. Es braucht eine gesetzliche Grundlage, dass die Behörden Verstösse gegen NAV büssen können, die Einführung von Kautionen in allen nationalen allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen (AVE GAV) sowie eine strengere Solidarhaftung. In Branchen mit Lohndruck braucht es Mindestlöhne. Die AVE GAV in den Branchen Reinigung und Sicherheit müssen auf die kleinen Betriebe ausgedehnt werden. Im Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft, in der Hauswirtschaft und bei Temporärarbeitenden braucht es Mindestlöhne in AVE GAV oder NAV. 

Ein Modellfall dafür, wie Arbeitgeber auf ausländische Arbeitskräfte ausweichen, um ihre schlechten Arbeitsbedingungen in der Schweiz aufrechterhalten zu können, ist das Gesundheitswesen. Eine GfS-Studie im Auftrag von H+ vom September 2009 hat klar gezeigt: Zahlreiche Spitäler haben Mühe, Pflegepersonal zu finden, weil die Arbeitszeiten unattraktiv und die Löhne zu schlecht sind. Auch ist es in Schweizer Spitälern gang und gäbe, dass schwangere Ärztinnen entlassen werden. Die Vakanzen werden dann mit Ärzten aus der EU gefüllt.

In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist der ideologische Spagat der SVP. An der jüngsten Delegiertenversammlung wurde die alte Rollenteilung zwischen Männern und Frauen aus der Mottenkiste geholt und zelebriert. Frauen sollen sich vermehrt wieder ausschliesslich um Haushalt und Kinderbetreuung kümmern. An der gleichen DV hat die SVP die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens verlangt. Doch wer soll dann die Arbeit machen, die die Frauen heute in ihren Berufen leisten, wenn sich diese wieder ausschliesslich um Haushalt und Kinder kümmern sollen? 

Nicht das Können, das Wollen ist das Problem

Die Gewerkschaften werden weiter für gute Arbeitsbedingungen und für Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kämpfen. Nur damit können die Arbeitnehmenden in der Schweiz vor den negativen Folgen der Krise geschützt werden. Das Freizügigkeitsabkommen ist dabei kein Hindernis. Die Schweiz darf alles Mögliche zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tun, sofern sie Arbeitskräfte aus der EU gegenüber Inländern nicht diskriminiert. Sie kann ein flächendeckendes Netz von Mindestlöhnen, Arbeitsplatzgarantien, Kündigungsschutzbestimmungen etc. einführen, wenn sie will. Und sie kann beliebig Konjunkturstützungsmassnahmen beschliessen. Bundesrat und Parlament müssen nun ihre Arbeit tun. Die bisherige Bilanz zu den Massnahmen gegen die Krise ist klar ungenügend. 

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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