Wieso eigentlich eine Vernehmlassung, wenn man deren Ergebnisse ignoriert?

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Verfasst durch Jean Christophe Schwaab, SGB-Zentralsekretär

Gewerkschaften, Linksparteien, Kirchen, die meisten Kantone, die Detaillisten und viele weitere Organisationen haben sich in der Vernehmlassung gegen die Parlamentarische Initiative Lüscher gewandt. Eine Mehrheit also. Dennoch wollen die zuständigen parlamentarischen Kommissionen mit dem Anliegen durchmarschieren.

Die Parlamentarische Initiative Lüscher verlangt uneingeschränkte Öffnungszeiten für Tankstellenshops. Sie reiht sich wie exemplarisch ein in die Salamitaktik, mit der das Verbot von Nacht- und Sonntagsarbeit zunehmend banalisiert und Schritt für Schritt aufgehoben werden soll. Lüscher und seine Freunde spielen ihren Anspruch natürlich herunter: Es gehe bloss um einen kleineren Konsumentendienst und um eine Anpassung an die modernen Konsumbedürfnisse. Aber die in der Vernehmlassung geballt geäusserte Ablehnung der verlangten Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit zeigt denn deutlich, dass es hier um mehr geht als um die Anpassung an einen bereits erfolgten gesellschaftlichen Wandel.

Gewerkschaften, Linksparteien, Kirchen und die meisten Kantone haben sich in der Vernehmlassung gegen die Parlamentarische Initiative Lüscher gewandt. Die Organisationen der Detaillisten und der Wirte lehnen erweiterte Öffnungszeiten in Tankstellenshops ebenfalls ab. Sie befürchten zurecht eine unlautere Konkurrenz, wenn Tankstellenshops alles zu jeder Zeit, also auch nachts und sonntags, verkaufen können. Auch die FMH, die Verbindung der Schweizer Ärzte, die Arbeitsmediziner und die Arbeitsinspektorate äussern sich gegen diese Liberalisierung, weil Nachtarbeit für die Betroffenen immer Gesundheitsrisiken bedeutet. Bekannt ist, dass Nachtarbeit zu Herz-, Schlaf- und Verdauungsstörungen führt. Bei Jugendlichen verdoppelt sie das Risiko von multipler Sklerose. Sodann bekämpfen die Jugendverbände und die Organisationen gegen Suchtmittelabhängigkeit die erweiterten Tankstellenöffnungen. Denn der nächtliche Umsatz dürfte zu einem Grossteil auf Alkohol-Überkonsumation beruhen. Die Umweltverbände schliesslich sind dagegen, weil schädliche Immissionen, bedingt durch den Mehrverkehr der Kunden, zunehmen werden.

All diese Fakten kümmern die zuständige Kommission des Nationalrates, die WAK, nicht. Sie, die diese Vernehmlassung lanciert hat, ignoriert nun deren Ergebnisse – weil ihr (resp. ihrer Mehrheit) diese nicht gefallen. Die WAK-Mehrheit beantragt ihrem Plenum Zustimmung zur Parlamentarischen Initiative. Die grosse Kammer hat denn auch schon den nächsten Salamischnitt vorgenommen: Sie hat eine Motion Hutter (FDP, ZH) akzeptiert, wonach die Kantone frei wären, die Ladenöffnungszeiten festzulegen. Mit anderen Worten: diese müssten die Bundesgesetzgebung zum Arbeitnehmerschutz nicht mehr respektieren.

Fazit: Die WAK will blind und gegen den Willen einer Mehrheit durchmarschieren. Das Plenum des Nationalrates ist also gefragt, die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis zu nehmen – und seine Kommission zu stoppen. Denn dass der Schutz der Gesundheit und des Privatlebens der betroffenen Arbeitnehmenden mehr wiegt als der Profit der Benzinhändler, ist offensichtlich – und offensichtlich geteiltes Gemeingut.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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