Whistleblowing: Lieber keine Revision als diese überkomplexe Scheinlösung

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Verfasst durch Luca Cirigliano

Der SGB zum nationalrätlichen Nein zur Whistleblowing-Vorlage

Bereits zum zweiten Mal hat am Montag der Nationalrat eine Vorlage zum Schutz von Whistleblowern abgelehnt - zu Recht, findet der SGB.

Schliesslich gilt: "Gut gemeint ist nicht immer gut beraten", wie es die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti auf den Punkt brachte, nicht ohne anzufügen, dass ein schickliches Begräbnis besser sei, als die Annahme dieser Vorlage. Ein genauerer Blick zeigt, weshalb diese Vorlage keine Mehrheit und auch nicht die Zustimmung der Gewerkschaften finden konnte. Die Revision hatte als Auftrag zwei Punkte:

  • Besserer Schutz von WhistleblowerInnen
  • Mehr Rechtssicherheit

Beide Ziele wurden verfehlt, ja, ins Gegenteil verkehrt.

WhistleblowerInnen wären durch die vorliegende Revision nicht geschützt worden, und zwar aus einem grundlegenden, angesichts der Mehrheiten im Parlament nicht zu korrigierendem Grund: statt ihren Schutz konzise und systemisch korrekt zu regeln, z. B. beim Kündigungsschutz im OR (ab Art. 336) oder in einem eigenen Gesetz (z. B. als Rahmengesetzgebung oder im Rahmen der Aktienrechtsrevision, um nach juristischer Person zu differenzieren), wurde uns eine "Lösung" präsentiert, die den "Schutz" für WhisteblowerInnen bei unter den Sorgfalts- und Treuepflichten der Arbeitnehmenden verankert (Art. 321a OR)! So wird der Schutz in sein Gegenteil verkehrt: die Pflicht des Arbeitnehmenden, sich bei einer allfälligen Meldung an eine wahnsinnig komplexe Kaskade zu halten.

Gleichzeitig wurde die ganze, zentrale Frage des Kündigungsschutzes von Anfang an schlicht übergangen. Auch wenn man also als Whistleblower alles richtig gemacht hätte, so hätte einem ein Gericht wegen missbräuchlicher Kündigung eine Entschädigung von maximal 6 Monatslöhnen zusprechen können, wobei eine Studie zeigt, dass die Entschädigung in der Praxis eher bei 2-3 Monatslöhnen liegt.

Den Job aber wäre man trotzdem los gewesen. Das kann man keinen Schutz nennen. Das sagt auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO: Sie hat die Schweiz wegen fehlendem Schutz vor missbräuchlichen Kündigungen auf eine schwarze Liste gesetzt.

Bliebt die Frage der Rechtssicherheit. In der Form war das Projekt zu kompliziert und zu technisch. Die Formulierung der sage und schreibe 7 Artikel mit zahlreichen Absätzen und Buchstaben ist ganz atypisch in der Systematik des OR: Dieses Gesetz sollte in klarer und unkomplizierter Sprache geschrieben werden, so dass es jedeR verstehen kann. Das war hier nicht der Fall. Selbst wer sich die Mühe macht, den Text mehrmals zu lesen wird ihn nicht verstehen - auch JuristInnen haben Mühe damit. Ein Laie, sei dies eine Arbeitgeberin oder ein Arbeitnehmer, hätten sich ohne die teure Hilfe eines Anwaltes bzw. einer Juristin nicht zurechtfinden können. Sogar die Bundesverwaltung selbst musste sich für die Präsentation in der Rechtskommission des Nationalrats ein Diagramm zeichnen, um das vorgeschlagene System verstehen und darlegen zu können!

Diese Vorlage hätte die Arbeitnehmenden entmündigt: Sie hätten kaum nicht mehr mit den Behörden reden dürfen, ganz zu schweigen von den Medien oder anderen "Dritten". Aus der Vorlage "zum Schutz" von WhistleblowerInnen wurde so eine, die ihnen einen Maulkorb angelegt und Arbeitgeber statt die Arbeitnehmenden geschützt hätte.

Die Hearings und Gespräche mit einer spezialisierten Rechtsanwältin, der Universität St. Gallen, der ILO sowie den Gewerkschaften haben gezeigt, dass niemand mit dieser Reform zufrieden war und sie alle gar als Rückschritt im Vergleich zum Status Quo einstuften. Weniger Rechtssicherheit, mehr Konflikte am Arbeitsplatz und vor den Gerichten, weniger einzelfallgerechte Lösungen. Der Status Quo mit der aktuellen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichts ist zu bevorzugen, aus diesem Grunde war der Entscheid, den vorliegenden untauglichen Entwurf abzulehnen richtig.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

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