Wenn Worte und Fakten auseinanderklaffen

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Artikel
Verfasst durch Jean Christophe Schwaab, SGB-Zentralsekretär

Die Schweiz geht sehr fahrlässig mit den Gewerkschaftsrechten um. In gewissen Fragen foutiert sie sich gar um sie. Damit wiederum machen zynische Standortförderer sogar Werbung. An internationalen Konferenzen aber singt die offizielle Schweiz das Hohelied der Gewerkschaftsrechte.

Obwohl Gastgeberstaat der IAO, wendet die Schweiz die Bestimmungen des von ihr 1999 ratifizierten IAO-Abkommens Nr. 98 nicht an. Das Abkommen schützt Gewerkschafter/innen und Personalvertreter/innen gegen gewerkschaftsfeindliche Kündigungen. Statt antigewerkschaftliche Kündigungen als ungültig zu erklären und die Wiedereinstellung der missbräuchlich gekündigten Person zu verlangen, sieht die Schweizer Gesetzgebung in diesen Fällen jedoch höchstens eine Entschädigung in der Höhe von 6 Monatslöhnen vor. Dank einer Klage des SGB ist nun zwar ein bisschen Bewegung entstanden, es ist aber alles andere als sicher, ob die Behörden wirklich einen effizienten Schutz gegen antigewerkschaftliche Kündigungen wollen.

Schwacher Schutz als Werbespot

Der Kanton Obwalden ist als Steuerdumper bekannt. Damit nicht genug. Seine Wirtschaftsförderung lockt auf ihrer Homepage nun noch Unternehmen mit dem Argument einer sehr zahmen Arbeitsgesetzgebung an. Der fehlende Kündigungsschutz wird dabei dick unterstrichen. Ein flexibles Arbeitsrecht in Missachtung der Grundrechte hat damit nicht nur seine ideologische sondern auch seine ganz praktische Schlagseite: Wie viele andere Staaten auch wüscht sich die Schweiz Wachstum auf Kosten der Rechte der Arbeitnehmenden. 

Streikrecht ausgehöhlt

Der Streik hat in der Schweiz kein hohes Prestige. Viele glauben gar, Streik sei verboten. Seit 10 Jahren jedoch garantiert die Bundesverfassung das Recht auf Streik. Das Bundesgericht jedoch verpflichtet streikende Gewerkschaften dazu, das „Prinzip der Verhältnismässigkeit“ einzuhalten. Dieses Prinzip, im Schweizer Recht bekannt, aber in der entsprechenden Verfassungsbestimmung mit keinem Wort erwähnt, veranlasst viele Gerichte, auf missbräuchliche Art gewerkschaftliche Aktionen als illegal zu erklären. Strafklagen gegen beteiligte Gewerkschafter/innen folgen auf dem Fuss und häufen sich. Diese Drohung mit Repression höhlt ein Streikrecht aus, das erst die kollektive Verhandlung über den Akt einer Bettelei erhebt, wie das deutsche Bundesarbeitsgericht im Unterschied zu unserem Bundesgericht festgestellt hat.

Diese drei Fälle zeigen: die Schweiz nimmt es mit den Gewerkschaftsrechten nicht ernst. Dabei sind die Gewerkschaftsrechte Teil der grundlegenden Menschenrechte. Sie sind anerkannt durch die Bundesverfassung (Art. 28) und zahlreiche internationale Verträge[1]. Sogar neoliberale Organisationen wie die WTO und die OECD anerkennen die Gewerkschaftsrechte und verlangen, dass diese in allen Staaten beachtet werden. 

Schöne Worte

Und die Schweiz? Ihre Haltung, wie sie sie an der Eröffnung der Internationalen Arbeitskonferenz 2010 am 31.5. vertreten hat, ist „sozialkorrekt“: Die grundlegenden Rechte stellen den minimalen, international anerkannten sozialen Sockel dar (Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen, Eliminierung von Zwangsarbeit und Arbeitspflicht, Aufhebung der Kinderarbeit, Aufhebung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf). Diese Rechte werden in verschiedenen Instrumenten und den grundlegenden Normen der IAO bestätigt. Es ist ihnen besser Folge zu tragen. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass der Einfluss der grundlegenden Arbeitsrechte sowohl international wie national zunimmt.“ 

Soweit die Worte. Die Fakten sprechen, wie die drei Fälle zeigen, eine andere Sprache. Es stünde der Schweiz gut an, den hehren Worten Fakten folgen zu lassen.

Auch IGB kritisiert Schweiz

Auch der neue, alljährliche erscheinende Bericht des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) über die Verletzung der Gewerkschaftsrechte in den einzelnen Staaten der Welt verschont die Schweiz nicht mit entsprechender Kritik. Er weist auf einige Fälle gewerkschaftsfeindlicher Kündigungen und das in der Praxis eingeschränkte Recht auf Streik hin. 

Nachzulesen hier: http://survey.ituc-csi.org/+-Switzerland-+.html


[1] Europäische Menschenrechtskonvention, UNO-Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, UNO-Pakt über die zivilen und politischen Rechte, IAO-Abkommen 87 und 98 über die Gewerkschaftsfreiheit.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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