Lohnkontrolle

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Viele negative Erfahrungen der Schweiz mit Kontingentssystemen

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Artikel

Kommentar des SGB zum Observatoriumsbericht

Mit der SVP-Abschottungsinitiative («10-Millionen-Schweiz») ist Diskussion über die Schweizer Migrationspolitik wieder lanciert. Das Niveau ist jedoch bedenklich. Die Personenfreizügigkeit wird kritisiert, ohne dass es eine halbwegs seriöse Diskussion über eine funktionierende Alternative gibt. Die Schutzklausel im EU-Paket wird als Fortschritt gefeiert, ohne dass klar ist, wie sie umgesetzt wird und was sie bringt. Viele reden von Kontingenten, obwohl die Schweiz schlechte Erfahrungen damit gemacht hat.

Das Schweizer Kontingentsystem ist ein jahrzehntelanger, schliesslich gescheiterter Versuch, die Einwanderung über Höchstzahlen und weitere Auflagen zu regulieren. «Die Kontingente wurden stets der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt angepasst, eine Begrenzung der Zuwanderung gab es nicht» (Mario Gattiker, NZZaS, 14. August 2018) . Die Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen waren teilweise erschreckend, insbesondere bei den Saisonniers. Die Integration in die Gesellschaft war in vielen Fällen völlig ungenügend. Viele Arbeiter:innen landeten schliesslich in der IV. Die Produktivität wurde gebremst.  

Mit den Zulassungssystemen kann und muss die «Qualität» der Migration gesteuert werden – insbesondere die Arbeitsbedingungen, die Rechte in Bezug auf Aufenthalt und soziale Sicherheit sowie die Qualifikation. Hier schneidet die Personenfreizügigkeit in Verbindung mit einem wirksamen Lohnschutz besser ab als Kontingents- oder Punktesysteme, wie Vergleiche zeigen. 
Die Höhe der Einwanderung ist eine Folge der Wirtschaftslage, sowie der Internationalisierung der Wirtschaft und der Verbreitung des Internets bei der Stellensuche. Vor dem Jahr 2000 musste man lokale Zeitungen kaufen, um zu erfahren, welche Stellen ausgeschrieben waren. Nach dem Jahr 2000 hat sich der Stellenmarkt ins Internet verlagert, so dass die offenen Stellen weltweit sichtbar wurden. Die EU hat die Personenfreizügigkeit bereits 1993 eingeführt, die Schweiz erst 2002/2004. Doch die Immigration ist in den Niederlanden und in Dänemark in den letzten 20 Jahren stärker gestiegen als in der Schweiz.
 

Der Bundesrat hat bei den Verhandlungen mit der EU eine so genannte «Schutzklausel» ausgehandelt. Gemäss dem neuen Art. 14a FZA kann die Schweiz dem gemischten Ausschuss «bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen, die auf die Anwendung des Abkommens zurückzuführen sind» «Schutzmassnahmen» beantragen. Bei «bei schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen», die «nachgewiesen auf die Anwendung dieses Abkommens zurückzuführen sind» kann auch das Schiedsgericht angerufen werden. Die wirtschaftlichen Probleme müssen somit in irgendeiner Form durch das FZA verursacht sein. Das dürfte in der Realität kaum der Fall sein, da beispielsweise eine hohe Arbeitslosigkeit die Folge von Konjunkturproblemen im Inland ist. Eine Wohnungsnot ist in erster Linie das Resultat einer zu geringen Bautätigkeit usw.. Wenn Firmen versuchen, Personal aus dem Ausland zu Dumpinglöhnen zu rekrutieren, müssen die Flankierenden Massnahmen greifen. Dementsprechend müssen die Probleme durch inländische, konjunktur-, arbeitsmarkt-, oder sozialpolitische Massnahmen gelöst werden.  

Schutzklauseln gab es bereits in der Vergangenheit. Sie haben sich nicht bewährt. So hat der Bundesrat die Jahresaufenthaltsbewilligungen (B-Bewilligungen) für Arbeitnehmende aus der EU-8 2012 bis 2014 beschränkt. Die Unternehmen sind dann auf die prekäreren Kurzaufenthaltsbewilligungen ausgewichen, die den Arbeitnehmenden weniger Aufenthaltssicherheit geben und mit schlechteren Arbeitsbedingungen verbunden sind. Auf die Höhe der Migration hatte das keinen Einfluss – die «Qualität» hat sich aber verschlechtert. 
 

Eine allfällige Anwendung der «Schutzklausel» mit ausländerrechtlichen Massnahmen wäre in der Praxis mit grossen Problemen verbunden. Der ganze Prozess – von der Feststellung wirtschaftlicher Probleme über den Entscheid des Schiedsgerichtes bis zur Umsetzung in der Schweiz – würde in den meisten Fällen deutlich länger als ein Jahr dauern. Sollten beispielsweise Kontingente eingeführt werden, müsste zudem das Personal rekrutiert und ausgebildet sowie die Infrastruktur aufgebaut werden, um weit über 100'000 Bewilligungen zu bearbeiten. Das würde nochmals viel Zeit in Anspruch nehmen. Der Vergleich der Schutzklausel mit einem Feuerlöscher hinkt ziemlich. 

Die Personenfreizügigkeit mit wirksamen Flankierenden Massnahmen ist einem Kontingentssystem überlegen. Die Lage der Bevölkerung muss aber dennoch besser werden. Das geht am besten mit inländischen Massnahmen. Die Reallöhne sind auf dem Niveau von 2020, während die Wirtschaft in den letzten Jahren gut lief. Die Löhne müssen steigen. Der Lohnschutz weist grössere Lücken auf – beispielsweise sind nur knapp 50 Prozent der Löhne durch GAV-Mindestlöhne geschützt. Die Möglichkeiten und die Arbeitsbedingungen der inländischen Erwerbsbevölkerung müssen besser werden. Die Lehre zeigt Krisensymptome. Sie muss aufgewertet werden – mit humaneren Arbeitszeiten und acht Wochen Ferien während der Lehre sowie besseren Lohnperspektiven und Arbeitsbedingungen nach dem Abschluss.

Daniel Lampart - Sekretariatsleiter SGB

SGB-Kommentar als PDF mit Fussnoten

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Co-Sekretariatsleiter und Chefökonom

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