Die Frage der "Umsetzung" des Artikels 121a BV soll in der Wintersession der eidgenössischen Räte abgeschlossen werden. Das ständerätliche Modell der Stellenmeldepflicht sichert die Bilateralen Abkommen und verbessert die Chancen benachteiligter Personen bei der Stellensuche.
Die staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) schlägt mit einem knappen Mehr eine Stellenmeldepflicht in Berufen und Tätigkeiten mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit vor. Dieses Modell geht auf eine Forderung des SGB zurück, die an der Jahresmedienkonferenz im Januar 2016 präsentiert wurde.
Chance für Stellensuchende
Der Zugriff auf die gemeldeten Stellen soll vorübergehend nur Erwerbslosen möglich sein. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) können den Arbeitgebern Stellensuchende zuweisen. Diese werden dann zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Arbeitgeber muss den RAV eine Nichtanstellung begründen. Um negative Auswirkungen zu verhindern (Zunahme der Temporärarbeit), hat die SPK-S dem Bundesrat im Gesetz einen entsprechenden Auftrag gegeben.
Im Unterschied zum Vorschlag des Nationalrats ist diese Stellenmeldepflicht unabhängig von der Einwanderung (Schwellenwert). Allfällige Vorbehalte, ob die Nationalratsvariante konform zum Freizügigkeitsabkommen sei, sind daher eliminiert. Zusätzlich hat die SPK-S Ausnahmen für Kurzaufenthalte bis 9 Monate eliminiert. Diese hätten prekäre Anstellungen gefördert. Ebenfalls weg sollen die Höchstzahlen im Asylbereich. Solche hatte der Bundesrat vorgeschlagen!
Einen besseren Kündigungsschutz für langjährige ältere Mitarbeiter/-innen begrüsst leider nur eine Kommissionsminderheit (Änderung OR). Dabei wäre eine solche Bestimmung überfällig. Viele Gesamtarbeitsverträge kennen heute schon besondere Schutzbestimmungen für ältere Arbeitnehmende. Auch in der Bundesgerichtspraxis ist ein höheres Schutzniveau für langjährige ältere Arbeitnehmende Realität.
Mehr Chancen für Stellensuchende
Erinnern wir uns: Fast alle Akteure (Bundesrat, Kantone, Arbeitgeber u.a.) schlugen nach dem 9. Februar 2014 vor, ein Kontingentssystem mit Ausnahmen bei Kurzaufenthaltern und Einschränkungen beim Familiennachzug einführen. Gewisse Kreise schlugen sogar vor, den Lohnschutz abzubauen.
Die Gewerkschaften waren phasenweise fast die Einzigen, welche vor den negativen Auswirkungen einer solchen Entwicklung warnten und sich für nicht-diskriminierende, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Massnahmen einsetzten. Die Stellenmeldepflicht wird zwar keine Wunder bewirken, aber sie wird die Chancen der Stellensuchenden verbessern, wieder eine Stelle zu finden - insbesondere von Stellensuchenden, welche auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind (ältere Stellensuchende, Wiedereinsteiger/-innen u.a.). Das SGB-Sekretariat hat die möglichen Auswirkungen einer Stellenmeldepflicht bereits 2015 untersucht und kam zu einem positiven Ergebnis für die Stellensuchenden. Die Forderung wurde anlässlich der Jahresmedienkonferenz 2016 erstmals öffentlich formuliert.
Von wegen Bürokratie
Der "Bürokratievorwurf" gegenüber dieser Massnahme ist tendenziös. Die grösste Bürokratie gab es im Kontingentssystem. Die Bürokratie war - neben den prekären Arbeitsverhältnissen und der Tieflohnpolitik - denn auch eines der gewichtigsten Argumente für die Abschaffung dieses Systems in der Schweiz. Demgegenüber ist die nun vorgeschlagene Stellenmeldepflicht eine zielgerichtete Massnahme. Sie beschränkt sich auf Berufe mit vielen Arbeitslosen. Wenn ein Arbeitgeber eine Stelle meldet, so wird es auch Arbeitslose geben, welche eine solche Stelle suchen.
RAV: schon heute positive Erfahrungen
Bereits heute arbeiten die RAV in zahlreichen Kantonen mit den Arbeitgebern im Bereich der Vermittlung zusammen (z.B. in Zürich oder im Aargau). Die Erfahrungen sind mehrheitlich positiv - für alle Beteiligten. Keinem RAV-Vermittler käme es in den Sinn, den meldenden Arbeitgebern Stellensuchende vorzuschlagen, die für die Stellen nicht infrage kommen. Denn das würde die Akzeptanz der RAV-Vermittlung bei allen Beteiligten - bei den Arbeitgebern und den Stellensuchenden - rasch untergraben.
Die Massnahme ist vereinbar mit dem Freizügigkeitsabkommen.Die Stellenmeldepflicht erfolgt unabhängig von den Einwanderungszahlen einzig aufgrund der Arbeitslosigkeit in der Schweiz. Sie ist nichtdiskriminierend, da sich beispielsweise auch GrenzgängerInnen, die in der Schweiz arbeitslos geworden sind, bei den RAV als stellensuchend melden können. Dass die RAV davon überrannt würden, ist hingegen unwahrscheinlich. Denn obwohl dieser Anspruch bereits heute besteht, machen nur wenige GrenzgängerInnen davon Gebrauch.