Staaten sollen Massnahmen gegen psychosoziale Risiken ergreifen

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104. Internationale Arbeitskonferenz

Vom 1. bis zum 13. Juni fand in Genf die 104. Internationale Arbeitskonferenz (IAK) statt. Über 600 Delegierte aus beinahe 200 Ländern diskutierten Themen der Arbeit und des Arbeitsrechtes. Luca Cirigliano, Leiter der Schweizer-Arbeitnehmerdelegation an der IAK, umreisst im Interview die aus Schweizer Perspektive wichtigsten Themen.

 

SGB-Newsletter: Was waren die wichtigsten Themen dieser 104. IAK?

Luca Cirigliano: Aus Schweizer Optik kann ich 4 Themen nennen. Erstens ist das die Diskussion darüber, ob aus der ILO-Konvention 87 ein Streikrecht ableitbar ist. Zum zweiten war für uns der Bericht über die psychosozialen Risiken sehr wichtig, dann weiter die Diskussionen zur Landwirtschaft und zu Katar.

Schön der Reihe nach. Worum ging es in der Diskussion zur Konvention 87?

Bis 2012 war in der ILO allgemein akzeptiert, dass aus der Konvention 87 zur Gewerkschaftsfreiheit automatisch ein Streikrecht ableitbar sei. Die damals erneuerte angelsächsische Arbeitgeberdelegation bestritt dies plötzlich und war nicht mehr bereit, in der ILO-Normenkommission konkrete Fälle mit einer solchen Interpretation der Konvention zu beurteilen.  Urteile der ILO-Normenkommission benötigen aber Einstimmigkeit. Die Normenkommission hätte sich also mit dieser Weigerung bei der Beurteilung von Streikfällen weitgehend selbst aus dem Rennen genommen. Nun, an der diesjährigen Konferenz haben die Arbeitgeber wieder eingelenkt. Sie akzeptieren es wieder, dass Fälle wegen Verletzung von Konvention 87 behandelt werden. Das ist erfreulich und für die Gewerkschafter/innen vieler Länder natürlich eine Frage von Leben und Tod. In dieser Frage haben die Arbeitgeber also nachgegeben.

Zum zweiten Thema, den psychosozialen Risiken: da habt ihr einen Bericht verabschiedet?

Genau. Der Bericht befasst sich, wie das Deutsch heisst, „mit einer sich im Wandel befindenden Arbeitswelt“. Neben den alten Problemen prekärer Anstellung und der Überlastung am Arbeitsplatz handelt er auch die neuen psychosozialen Risiken ab: die dauernde Erreichbarkeit der Arbeitnehmenden aufgrund der neuen Technologien, die so ausufernde Arbeit, die Entgrenzung zum Privaten und den daraus resultierenden Stress. Der Bericht konstatiert diese Probleme und fordert die Staaten auf zu handeln, auf GAV- wie auf gesetzgeberischer Ebene.

Was bedeutet das für die Schweiz?

Ganz konkret: dass wir uns etwa die Frage nach einer Definition des Burnouts als  Berufskrankheit zu stellen haben. Oder dass wir im Arbeitsgesetz den Bereich home office regeln müssen.

Du hast die Landwirtschaft als dritten Punkt erwähnt.

Die Landwirtschaft in den entwickelten Ländern wird immer industrieller, und es werden neben den Familienangehörigen immer mehr Leute angestellt. Der Schutz dieser Angestellten wird aber klein geschrieben, sie arbeiten sehr oft unter äusserst prekären Bedingungen. Unsere Forderung war: diese Arbeitnehmenden müssen den gleichen Schutz wie die Arbeitnehmenden erhalten, welche vom Arbeitsgesetz erfasst werden. Und es sind auch in der Landwirtschaft GAV zu entwickeln.

Und Katar?

Da ging es vor allem um das katarische Kafala-System, das den Arbeitsmigrant/innen aufgezwungen wird. Es macht diese quasi zu Rechtlosen. Es erlaubt zum Beispiel den Patrons, ihnen bei einer Anstellung die Pässe wegzunehmen. Die ILO hat das katarische Kafala-System als  Zwangsarbeit denunziert und den Staat aufgefordert, das System abzuschaffen. Am häufigsten kommt diese ungeheuerliche Ausbeutung bei den Hausangestellten und im Bau vor. Zu letzterem haben auch wir von der Schweizer Delegation interveniert: Wir kritisierten die FIFA, dass sie bei der Vergabe der Fussball-WM unbedingt auf die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen hätte pochen müssen.

Ist an dieser Konferenz auch die Klage des SGB gegen die Schweiz wegen Verletzung der Gewerkschaftsfreiheit resp. des mangelnden Kündigungsschutzes diskutiert worden?

Dieser Fall befindet sich noch bei der Expertenkommission. Die ILO hat der Schweiz bis 2016 Zeit gegeben. Bis dahin soll die Schweiz auf die Empfehlung der ILO antworten, den Kündigungsschutz von Gewerkschaftsvertreter/innen zu verbessern. Trift bis dahin keine oder eine ungenügende Antwort der Schweiz ein, dann wird an der nächsten Arbeitskonferenz über diesen Fall eines mangelnden Schutzes von Gewerkschafter/innen berichtet werden und die Schweiz dürfte öffentlich verurteilt werden. Sie wäre dann im gleichen Boot wie Katar oder Weissrussland.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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