Seit einiger Zeit sind gehäuft massive parlamentarische Vorstösse festzustellen, die darauf zielen, die Arbeitsbedingungen des Ladenpersonals i.S. allgemeine Ruhezeit bzw. Sonntags- und Nachtruhe dramatisch zu verschlechtern. Die Motion Lombardi, welche in der aktuellen Session im Parlament behandelt werden wird, erweist sich dabei als besonders gefährlich.
Erste Attacke: Die Parlamentarische Initiative Lüscher (Abstimmung am 22. September 2013, weil die Gewerkschaften in breitem Bündnis das Referendum ergriffen haben), hebt die Arbeitsschutzbestimmungen an Tankstellenshops quasi auf – dies zum Schaden der betroffenen Arbeitnehmer/innen und der allgemeinen Lebensqualität der Gesamtbevölkerung. Zweite Attacke: Die Motion Abate verlangt eine neue Fremdenverkehrsdefinition im Arbeitsgesetz (Art. 25 ArGV 2). Sie würde das bisherige strenge Verbot der Sonntagsarbeit, wie es im Arbeitsgesetz festgelegt ist, aufweichen und hätte damit gravierende Auswirkungen auf das Gemeinschaftsleben in der Schweiz und speziell auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden und auf die Arbeitsbedingungen im Verkauf. Betroffen von dieser besorgniserregenden Entwicklung sind insbesondere die Frauen, die rund zwei Drittel der Beschäftigten im Detailhandel ausmachen.
Attacke Nr. 3 auf das Ladenpersonal: die am 14. Dezember 2012 eingereichte Motion „Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs bei den Öffnungszeiten“ der Grünliberalen Fraktion. Sie möchte unter dem Vorwand der Rechtsgleichheit mit Blick auf die mit dem Referendum umkämpfte obenerwähnte Deregulierung der Tankstellenshops, dass sämtliche Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetriebe (!) – unabhängig von Sortiment und Angebot – welche eine Maximalgrösse (von heute faktisch gültigen 120 m2) nicht überschreiten, auch sonntags und in der Nacht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rund um die Uhr beschäftigen dürfen.
Motion Lombardi untauglich und schädlich
Die Motion Lombardi, Attacke Nr. 4, verlangt von den Kantonen obligatorische Ladenöffnungszeiten für alle Detailhandelsbetriebe im Sinne einer Minimalöffnungszeit von Montag bis Freitag von 6 bis 20 Uhr und am Samstag von 6 bis 19 Uhr. Dies unter der Annahme, längere Ladenöffnungszeiten würden automatisch mehr Umsatz generieren. Die Annahme ist falsch.
Grenzgebiete wie Zürich oder der Aargau kennen bereits lange Öffnungszeiten; trotzdem fahren Konsumentinnen und Konsumenten für ihre Einkäufe nach Deutschland. Dies hat v.a. mit der starken Überbewertung des Frankens zu tun. Diesen engen Zusammenhang zeigt auch eine Aussage von Migros-Chef Herbert Bolliger. Am 20. Januar 2013 sagte er gegenüber der Sonntagszeitung, dass der Druck des Wechselkurses weg sei: „Wenn wir die Wochenumsätze unserer Genossenschaften anschauen, sind jetzt wieder alle nahe beisammen.“ An dieser Stelle möchten wir der Vollständigkeit halber auf die guten Jahresabschlüsse der zwei grössten Detailhändler hinweisen, welche eine klare Umsatzsteigerung in der letzten Berichtsperiode aufweisen – dieses Umsatzwachstum lässt sich mit Zahlen belegen: Bei Coop wuchs die Detailhandelssparte 2012 um 1,7%. Bei Migros ist der Umsatz im Detailhandel sogar um 2,3% gestiegen.
Die Arbeitszeiten so zu verlängern, wie dies die Motion verlangt, wäre eine untaugliche Massnahme. Sie wäre der Gesundheit sowie dem sozialen und familiären Leben der Arbeitnehmer/innen abträglich, ohne andererseits irgendeine Beschäftigung zu garantieren. Längere Öffnungszeiten fördern weder Wachstum noch Beschäftigung, sondern sind Ausdruck einer hohen Konkurrenz in der Branche, in der die Kleinen langsam von den Grossen verdrängt werden. Die Leidtragenden in dieser Auseinandersetzung sind die Angestellten im Detailhandel, die schon heute unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden. Sie wären mit dem Vorschlag Lombardi ein weiteres Mal Opfer.
Tatsächlich zeigen Studien klar, dass längere Ladenöffnungszeiten bei gleichen Preisen und gleichbleibender Kaufkraft lediglich zu einer Verlagerung der gleichen Umsatzmenge führen. Die Grundannahme der Motion Lombardi entbehrt in diesem Sinne ihres Fundaments.
Volkswillen respektieren
Der Vorstoss Lombardi stellt zudem einen massiven Angriff auf die kantonale Souveränität dar. In den letzten Jahren haben die Gewerkschaften zur Frage der Ladenöffnungszeiten sowie der Nacht- und Sonntagsarbeit regelmässig Referenden auf kantonaler Ebene lanciert. In den allermeisten Fällen haben die Arbeitnehmerorganisationen vom Volk Recht bekommen. Die letzten Beispiele dafür: Im Kanton Zürich wurde am 17. Juni 2012 eine Volksinitiative, die die Ladenöffnungszeiten umfassend liberalisieren wollte („Der Kunde ist König“), mit über 70 % Nein-Anteil weggefegt. In Luzern wurde gleichzeitig die Verlängerung des Samstagsverkaufs um eine Stunde durch 54,5 % der Abstimmenden abgelehnt. Basel-Stadt lehnte am 3. März 2013 einen späteren Ladenschluss an der Urne wuchtig ab. Dieser klare Ausdruck des Volkswillens darf nicht ignoriert werden.
Mit der Annahme der Motion Lombardi würde das Bundesparlament faktisch also laufende demokratische Prozesse in den Kantonen ausser Kraft setzen. Demokratiepolitisch ist das äusserst bedenklich.
Der SGB stellt einen eigentlichen „Abwärts-Wettlauf“ im Arbeitsrecht des tertiären Sektors fest. Er bekämpft diesen zusammen mit seinen Verbänden und weiteren interessierten Kreisen: die Motion Lombardi im Parlament, die Einführung des 24-Stunden-Arbeitstages in Tankstellenshops an der Urne.