Mit dem Bericht zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt im Jahre 2008 (Observatoriumsbericht) hat das Seco vergangene Woche vor allem einen Rückblick auf eine Phase guter Konjunktur gemacht. Von besonderem Interesse ist jedoch, wie sich die Personenfreizügigkeit in der gegenwärtigen Rezession auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen in der Schweiz auswirkt. Fakt ist: In Rezessionen nimmt der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen wegen der höheren Arbeitslosigkeit zu – weitgehend unabhängig davon, ob ein Arbeitsmarkt geöffnet ist oder nicht. Doch in der gegenwärtigen Rezession steht mit den flankierenden Massnahmen zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte ein Instrument dagegen zur Verfügung. Paritätische Kommissionen und Kantone können Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen aufdecken und bekämpfen, wenn sie die flankierenden Massnahmen konsequent umsetzen. Die eigentliche Gefahr für die Sicherheit der Schweizer Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen kommt nicht jedoch von aussen, sondern von innen. Im kommenden Jahr droht eine massive Krisenverstärkung durch die staatliche Finanzpolitik. Staat und Krankenkassen werden im kommenden Jahr massiv Kaufkraft abschöpfen und bei den Ausgaben zu sparen beginnen. Diese Spar- und Schröpfpolitik wird die Rezession verstärken und rund 50'000 Arbeitsplätze kosten, wenn Regierung und Parlament nichts dagegen unternehmen.
Falsche Politik
Die gegenwärtige Rezession stellt die Arbeitsmarktpolitik der Schweiz auf eine harte Probe. In seinen Prognosen rechnet der Bundesrat für 2010 mit deutlich mehr als 200'000 Arbeitslosen – so vielen wie nie zuvor. Mitschuldig an diesem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau sind Regierung und Parlament bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Mit einer Abschöpfung von Kaufkraft in Milliardenhöhe (höhere Krankenkassen-Prämien, keine schnelle Rückerstattung der CO2-Abgabe) und sich abzeichnenden Sparprogrammen bei Kantonen und Gemeinden schafft der Staat zusätzliche Arbeitslosigkeit, statt sie zu bekämpfen. Die Krisenverstärkungspolitik wird rund 50'000 Arbeitsplätze kosten.
Die Schweiz ist bereits mit einer hohen Arbeitslosigkeit von fast 100'000 Betroffenen im Herbst 2008 in den Abschwung gestartet. Im letzten Aufschwung hat die Arbeitslosigkeit nur schwach abgenommen, obwohl BIP und Beschäftigung vergleichsweise stark gestiegen sind. Das ist vor allem eine Folge von Leistungsabbau bei der sozialen Sicherheit. In den letzten Jahren wurde das Rentenalter der Frauen erhöht, die Vergabe von IV-Renten wurde restriktiver und die reglementarischen Rentenalter in den Pensionskassen wurden angehoben. Die Folge ist, dass 2007 rund 50'000 Personen mehr auf dem Arbeitsmarkt oder in der Arbeitslosenversicherung waren als früher. Eine Verdrängung von inländischen Arbeitskräften durch Beschäftigte aus der EU dürfte hingegen kaum eine Rolle gespielt haben. Auch unter dem Regime der Personenfreizügigkeit erhalten Erwerbstätige aus der EU nur dann eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie in der Schweiz eine Stelle haben. Neu ist hingegen, dass a) Temporärbüros Personal in der EU rekrutieren und b) ausländische Firmen bis 90 Tage in der Schweiz arbeiten können (Entsendefirmen). Das dadurch geleistete Arbeitsvolumen entspricht aber nur rund 15'000 Beschäftigten. Kaum einen Einfluss auf die Immigration hatte die Aufhebung der bis im Juni 2007 bestehenden Kontingente, da sie zuvor insgesamt nicht ausgeschöpft wurden. Sie haben einzig zu einer Verlagerung von Dauer- zu Kurzaufenthaltsbewilligungen geführt. Um die Verdrängung von inländischen Arbeitskräften und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu verhindern, wurden die flankierenden Massnahmen eingeführt. Mit Kontrollen und Sanktionen kann gewährleistet werden, dass alle Arbeitgeber die gleichen Anstellungsbedingungen einhalten müssen. Wenn inländische und ausländische Arbeitskräfte zu gleichen Bedingungen angestellt werden müssen, lohnt es sich für Schweizer Arbeitgeber nicht, Personal im Ausland zu rekrutieren bzw. erhalten Entsendefirmen keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber Schweizer Arbeitgebern.
In der Vergangenheit hat die Einwanderung von ausländischen Arbeitskräften rasch auf eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in der Schweiz reagiert. In den Jahren 1996 und 1997 war der Migrationssaldo sogar negativ. Auch was den gegenwärtigen Aufschwung betrifft, gibt es bereits starke Anzeichen dafür, dass die Einwanderung markant zurückgeht. Je nach Aufenthaltskategorie resultieren Rückgänge von 15 bis 30 Prozent. Denn auch bei Personenfreizügigkeit gilt: Wer keine Dauerstelle in der Schweiz hat, erhält keine Aufenthaltsbewilligung. Wenn weniger Stellen geschaffen werden, geht deshalb die Einwanderung zwangsläufig zurück.
Häufiger kontrollieren
Generell ist in Erinnerung zu rufen, dass es ohne Personenfreizügigkeit auch die Bilateralen Verträge nicht geben würde. Die Folge wäre, dass die Schweizer Exportfirmen es noch schwerer hätten, ihre Produkte in der EU abzusetzen, als sie es in der Krise bereits haben. Dies gesetzt, hängt die Antwort auf die Frage, inwiefern die inländischen Arbeitnehmenden in der Krise von der Personenfreizügigkeit negativ betroffen sein werden, entscheidend von der Durchsetzung der flankierenden Massnahmen ab. Lassen die Behörden zu, dass die Schweizer Arbeitsbedingungen unterlaufen werden, muss mit einer Verschlechterung dieser Arbeitsbedingungen gerechnet werden. Die im Rahmen der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien/Bulgarien vom Bundesrat zugesicherte verbindliche Erhöhung der Anzahl Kontrollen um 20 Prozent beispielsweise muss daher möglichst rasch umgesetzt werden. Vor allem die Schweizer Arbeitgeber müssen häufiger kontrolliert werden, weil sie den grössten Teil des Personals beschäftigen. Weiter müssen dort rigoros Mindestlöhne erlassen werden, wo es Druck auf die Löhne gibt. Sowohl der Temporär-GAV als auch der Normalarbeitsvertrag in der Hauswirtschaft müssen so rasch als möglich für alle betroffenen Arbeitgeber als verbindlich erklärt werden. Und die vielen Verstösse im Gesundheits- und Sozialwesen, die im Jahr 2007 aufgedeckt wurden, erfordern zusätzliche Schutzmassnahmen.
Entscheidend für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Schweiz im kommenden Jahr ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halten Bundesrat und Parlament an der rezessionsverstärkenden Spar- und Abschöpfungspolitik fest, wird die Arbeitslosigkeit stark ansteigen. Gegen diese Politik können auch die flankierenden Massnahmen nichts ausrichten. Der SGB verlangt daher ein Konjunkturpaket, welches die Arbeitslosigkeit bekämpft, statt mehr Arbeitslose zu schaffen.