Die Weltwirtschaftskrise hat begonnen, voll auch auf die Schweizer Wirtschaft durchzuschlagen. Zwar sind die Folgen noch nicht in vollem Ausmass sichtbar, weil der Binnensektor derzeit noch gut läuft und viele Unternehmen mit Auftragsflauten – richtigerweise – zunächst auf die Kurzarbeit ausgewichen sind. Sämtliche Prognosen zeigen aber, dass die Schweiz in kurzer Zeit mit einer Arbeitslosigkeit konfrontiert sein wird, die sie überhaupt noch nie gesehen hat, und den daraus folgenden verheerenden Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft – falls nun nicht rasch, entschieden und in einer Grössenordnung, die ökonomisch ins Gewicht fällt, Gegensteuer gegeben wird.
Substanzielle Investitionen
Leider hat der Bundesrat unter Führung eines Bundespräsidenten, der sich in erster Linie als Ausläufer der UBS-Spitze versteht, bis jetzt nicht begriffen, was für die Schweizer Wirtschaft und die Arbeitsplätze auf dem Spiel steht. Wenn für die Rettung der UBS an den demokratischen Regeln vorbei eine Summe von 68 Milliarden Franken beschlossen wurde, umgerechnet 10‘000 Franken pro Kopf der Bevölkerung, Säuglinge und Greise inbegriffen, dann braucht es jetzt für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch substanzielle Investitionen. Die Verfassung verpflichtet die Behörden ausdrücklich zur Krisenbekämpfung. Das dritte Konjunkturpaket ist die entscheidende Herausforderung der kommenden Monate für die Wirtschaftspolitik des Bundes. Dieses Konjunkturpaket muss einerseits die Kaufkraft auf den Beginn des kommenden Jahres stützen. Im Vordergrund stehen dabei die Prämienerhöhungen der Krankenversicherung, die durch ein Sozialpaket aufgefangen werden müssen. Andererseits braucht es ein grosses Investitionsprogramm. Ansonsten ist heute schon absehbar, dass die Kantone und Gemeinden angesichts der krisenbedingt rückläufigen Einnahmen ihre Budgets zusammenstreichen werden, mit den fatalen, verstärkenden Auswirkungen auf die Krise. Die Weichen für eine offensive Politik gegen die Krise werden jetzt gestellt.
Effiziente Sozialversicherungen
Wichtige Weichenstellungen stehen auch bei den Sozialwerken bevor. Ein entscheidender Unterschied zur Krise der dreissiger Jahre sind funktionierende Sozialwerke. Herausgefordert ist in der Krise zunächst die Arbeitslosenversicherung. Statt einer Beschränkung oder gar Senkung der Ansprüche braucht es mit Blick auf die Tiefe der Krise eine Verlängerung der Bezugsdauer auf 520 Tage und eine Erhöhung der Taggelder um zehn Prozentpunkte. Das verbessert die soziale Absicherung und stärkt die Kaufkraft bei jenen, die sie dringend brauchen. Es waren ja nicht die von der Arbeitslosigkeit Betroffenen und Bedrohten und ihre Familien, welche die Wirtschaftskrise verursacht haben. Sondern die verantwortungslosen Manager im Finanzsektor und die neoliberalen Ideologen, für deren Versagen nun der Staat einspringen muss. Es ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit, dass die hohen Einkommen stärker an die Kosten der Arbeitslosenversicherung beitragen müssen. Wir fordern, dass die hohen Einkommen ab 126‘000 Franken mit 2 Lohnprozenten in die Beitragspflicht einbezogen werden und damit einen substanziellen Beitrag an die Kosten leisten.
Ein Gebot der Stunde ist die Verteidigung der Renten. Beim Referendum gegen die Senkung des Umwandlungssatzes geht es um die Renten im BVG-Obligatorium, um jene Renten, die für die Lebenshaltung unerlässlich sind. Eine wichtige Schlussfolgerung aus der Krise der Kapitalmärkte ist die Stärkung der AHV, die im ökonomisch viel leistungsfähigeren und zudem sozialeren Umlageverfahren finanziert wird. Die Gewerkschaften werden das Sozialabbauprojekt der Neuaufgelegten 11. AHV-Revision mit dem Referendum bekämpfen, falls diese Sozialabbauvorlage im Parlament definitiv durchkommen sollte. Statt Sozialabbau muss bei der AHV wieder eine reale Verbesserung der Renten in Angriff genommen werden. Gerade bei der Krise der Zweiten Säule muss die Erste Säule ausgebaut und nicht abgebaut werden.
Neue Lohn- und Steuerpolitik
Entscheidend für die nötigen neuen Weichenstellungen im Verteilkampf zugunsten von mehr sozialer Gerechtigkeit und gegen die Reichtumsexzesse sind aber nicht nur die Sozialwerke, sondern vor allem auch die Lohnpolitik und die Steuerpolitik. In der Lohnpolitik geht es einerseits um die konkrete Realisierung der Mindestlohnziele von 3‘500 Franken pro Monat für Ungelernte und von 4‘500 Franken für Gelernte. Andererseits braucht es für die Unternehmen der öffentlichen Hand unter Einschluss von Post und Swisscom eine neue Höchstgrenze für Kaderlöhne in der Höhe von 500‘000 Franken. Es ist unter keinem Titel zu rechtfertigen, dass die Manager der öffentlichen Unternehmen deutlich mehr kassieren als ein Bundesrat. Wenn die öffentliche Hand die Spitzensaläre auf 500‘000 Franken beschränkt, gibt das auch ein starkes Signal für die Lohnpolitik der Unternehmen. Eine weitere überfällige Massnahme gegen Lohnexzesse liegt darin, dass Saläre über einer Million Franken der Gewinnsteuer unterstellt werden sollen.
Überhaupt muss in der Steuerpolitik dafür gesorgt werden, dass die hohen Einkommen und Vermögen wieder ihren Anteil an den steuerlichen Lasten tragen. Dafür müssen zunächst die verschiedenen Steuerprojekte von Finanzminister Merz gestoppt werden, die alle nur das Ziel verfolgen, die Steuerbelastung von oben nach unten zu verschieben. Auch in den Kantonen müssen die Vorhaben, die hohen Einkommen weiter zu entlasten, ein Ende haben. Statt einer Schwächung braucht es auf allen Ebenen eine Verschärfung der Steuerprogression. Dazu gehört auch die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer mit einem Freibetrag.
Gestoppt werden muss schliesslich die verfehlte Politik der Liberalisierung und Privatisierung des Service Public, die der Bevölkerung und den Beschäftigten nur Nachteile bringt. Die jüngsten Beschlüsse des Bundesrats zur Post zeigen, dass in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung das überfällige Umdenken nach dem Fiasko der neoliberalen Ideologie noch nicht einmal eingesetzt hat. Eine Regierung aber, die, statt die Ursachen der gewaltigen Wirtschafts- und Finanzkrise zu benennen, weiterhin die gescheiterten ideologischen Rezepte des Neoliberalismus verbreitet und umsetzt, ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Soziale Gerechtigkeit
Der 1. Mai ist der einzige säkulare Feiertag, der weltumspannend gefeiert wird. Vor 120 Jahren ins Leben gerufen von einer Bewegung armer Männer und Frauen erinnert er an die Würde der arbeitenden Menschen und an die Anliegen der sozialen Gerechtigkeit, die einer Zeit der schamlosen Bereicherung einerseits und grosser sozialer Not andererseits nicht weniger wichtig geworden sind. Die Geschichte zeigt, dass gerechte soziale und wirtschaftliche Verhältnisse entscheidend von der Stärke der Gewerkschaften abhängig sind. Das bedeutet gute Gesamtarbeitsverträge und leistungsfähige Sozialwerke, aber auch, dass die Schweiz mit einem wirksamen Kündigungsschutz gegen gewerkschaftsfeindliche Kündigungen endlich den Standard des internationalen Menschenrechtsschutzes erreichen muss. Nach dem Scheitern des neoliberalen Systems braucht es jetzt neue Weichenstellungen zugunsten der sozialen Gerechtigkeit.