Voraussichtlich in der nächsten Session wird sich der Nationalrat erneut über die Reform des Obligationenrechts (OR) beugen. Bei dieser Reform geht es auch darum, endlich Gerechtigkeit für Asbestopfer zu schaffen. Deren Ansprüche dürfen nicht mehr verjähren, bevor die Krankheit überhaupt ausgebrochen ist. Dies ist häufig erst 40 oder mehr Jahre nach Exposition mit Asbestfasern der Fall. Dem muss das Gesetz Rechnung tragen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat es klar festgehalten: Die Schweizer OR-Verjährungsfrist von 10 Jahren entspricht nicht den modernen Standards bei gesundheitlichen Risiken. Besonders krass zeigt das der Fall von Asbest-Krankheiten. Die Tatsache, dass entsprechende Forderungen verjähren können, bevor die Krankheit überhaupt ausbricht, verunmöglicht systematisch die Geltendmachung von Ansprüchen. Das, so der EGMR weiter, verstösst gegen Art. 6 der Menschenrechtskonvention. Das Bundesgericht hat sich mit dem Revisions-Urteil 4F_15/2014 vom 11. November 2015 dieser Meinung angeschlossen. Es hat entschieden, dass die Ansprüche der Familienangehörigen von verstorbenen Asbestopfern geprüft werden sollen, trotz der von den Vorinstanzen festgestellten Verjährungen.
Dies reicht jedoch nicht: Es braucht auch eine Gesetzesänderung, welche das EGMR-Urteil umsetzt und damit endlich Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit für alle schafft! Beide Kammern des Parlaments haben sich bis heute an die entsprechende Anpassung des Obligationenrechts gemacht.
Ständerat: nur ein Schritt in die richtige Richtung
Die Vorlage, wie sie nun die kleine Kammer als Zweitrat verabschiedet hat, sieht nur ungenügend differenzierte Lösungen für Asbestopfer vor. Die Rechtskommission der kleinen Kammer hatte noch eine absolute Verjährungsfrist von 30 Jahren für sämtliche Personenschäden sowie für Asbest-Krankheiten eine übergangsrechtliche Sonderregelung beschlossen. Das Plenum jedoch buchstabierte wieder zurück. Es beschloss eine Verjährung von nur 10 statt 30 Jahren bei Personenschäden. Der SGB ist der Meinung, dass die Frist erst ab Ausbruch der Krankheit zu zählen beginnen darf - eine Lösung, die nota bene bereits unter dem geltenden Recht möglich wäre.
Immerhin sieht der Ständerat bei asbestbedingten Krankheiten eine Nachfrist von einem Jahr ab Inkrafttreten vor, dies für Fälle, in denen die Verjährung nach neuem Recht bereits eingetreten wäre oder Ansprüche wegen Verjährung bereits rechtskräftig abgewiesen wurden.
Der SGB unterstützt diese übergangsrechtliche Regelung, weil sie einen Schritt in die richtige Richtung darstellt und die Rechtsprechung des EGMR und des Bundesgerichtes aufnimmt. Der Nationalrat soll dieses Element, ein absolut minimales Entgegenkommen gegenüber den Asbestopfern, so übernehmen. Der SGB befürwortet zudem den ständerätlichen Entscheid, dass diese übergangsrechtliche Sonderregelung nur subsidiär, also nur dann zur Anwendung kommen soll, wenn kein Fonds Entschädigungen leistet. Anders gesagt: Wenn im Zeitpunkt der Einreichung eines Begehrens auf Schadenersatz oder Genugtuung ein Sonderfonds zur angemessenen finanziellen Regulierung von durch Asbest verursachten Personenschäden besteht, gilt die erwähnte Spezialregelung nicht.
Runder Tisch muss handeln
Damit sind nun die Akteure des Runden Tisches Asbests unter der Leitung von Altbundesrat Moritz Leuenberger gefordert. Sie haben dafür zu sorgen, dass im Einklang mit den Vorschlägen aus dem Ständerat ein Fonds geäufnet wird, welcher primär für nicht-UVG-, sekundär auch für UVG-versicherte Opfer und ihre Angehörige angemessene Leistungen erbringt.
Ein solcher Fonds ist auch im Interesse der ehemaligen Arbeitgeber und der Versicherungen: Sie vermeiden langwierige und teure Prozesse, entgehen riesigen Reputationsschäden und haben Rechtssicherheit. Den Opfern und ihren Angehörigen wiederum wird viel menschliches Leid erspart, indem sie unbürokratisch zu Leistungen des Fonds kommen.
Frist ab Ausbruch der Krankheit berechnen
An die Adresse des Bundesgerichts ist weiter zu fordern, dass dieses in Zukunft seine Rechtsprechung menschenrechtskonform gestaltet und die Frist ab Entstehen des Schadens, also ab Ausbruch der Krankheit, berechnet. Das wäre bereits unter dem geltenden Recht möglich. Und wird vom EGMR zwischen den Zeilen seines Urteils gefordert. Der Nationalrat muss nun in der weiteren Beratung des Verjährungsrechtes endlich zu Lösungen finden, die das Leid der Betroffenen nicht ignorieren.