Mehr Fairness statt neue Ausbeutung

  • Arbeit
  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
  • Löhne und Vertragspolitik
  • Gesundheit
  • Gleichstellung von Mann und Frau
Artikel
Verfasst durch Regula Bühlmann und Luca Cirigliano

Die Lücke in der Care-Arbeit wird immer grösser

Pflege und Betreuung sind je länger je weniger gesichert. Prekäre Jobs nehmen zu. Deshalb muss der Staat hier mehr investieren - die Männer auch.

Obwohl immer mehr Frauen erwerbstätig sind, leisten sie auch heute noch einen Grossteil der unbezahlten Arbeit - Pflege- und Betreuungsleistungen nicht nur für Kinder, sondern auch für ältere und kranke Angehörige. Diese Arbeit, unter dem Begriff Care zusammengefasst, ist ein blinder Fleck in der Ökonomie. Solange sie gratis geleistet wird, taucht sie in den Wirtschaftsstatistiken gar nicht erst auf. Kommt dazu, dass die Care-Arbeit nicht der in der Ökonomie allgegenwärtigen Effizienzlogik gehorcht: Wir können zwar immer schneller Autos produzieren, aber nicht effizienter Kinder trösten oder Kranke pflegen.

Lücke in der Versorgung

Frauen sind jedoch nicht mehr bedingungslos bereit, diese Arbeit zu übernehmen und das finanzielle Risiko zu tragen. Während unsere Lebenserwartung steigt und die Care-Arbeit an Bedeutung zunimmt, verzichten je länger je weniger Frauen auf einen eigenen Lohn und finanzielle Absicherung, um sogenannte Liebesarbeit zu leisten. Und Männer übernehmen nicht in dem Mass mehr unbezahlte Arbeit, wie Frauen bezahlte übernehmen. In der Versorgung von Kindern und Pflegebedürftigen ist eine Lücke entstanden. Sie wird grösser werden, wenn wir nicht Gegensteuer geben.

Mangelhafter Schutz für Care-Migrantinnen

Institutionen wie Kitas, Spitäler und die Spitex können diese Lücke schon jetzt nicht mehr schliessen. Gerade die Pflege älterer und kranker Menschen wird unter dem Spardruck zunehmend wieder ins Private abgedrängt. In die Bresche springen wiederum Frauen: Care-Migrantinnen lassen ihre eigenen Familien zurück, um sich hier unter prekären Arbeitsbedingungen und zu einem miserablen Lohn rund um die Uhr um "fremde Angehörige" zu kümmern. Schwarzarbeit ist an der Tagesordnung, Privatsphäre und Freizeit sind in solchen Arrangements meist Fremdwörter. Obwohl die Schweiz das Übereinkommen 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) "Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte" ratifiziert hat und der Bundesrat in einem Bericht Handlungsbedarf eingesteht, ist die Care-Arbeit gegen Bezahlung immer noch nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt. Dadurch fehlt den Care-Angestellten ein effektiver Schutz ihrer Gesundheit und persönlicher Integrität.

Kaum Schutz - trotz ratifiziertem IAO-Übereinkommen

Bei entlohnter Care-Arbeit ist die Gefahr von Ausbeutung, Gewalt, Sozial- und Lohndumping beträchtlich. Deshalb verlangt das Übereinkommen 189 der IAO, dass Hausangestellte arbeits- und sozialrechtlich den übrigen Angestellten gleichgestellt werden. Verbesserungen seien vor allem hinsichtlich Arbeitszeit, soziale Sicherheit und Arbeitsbedingungen (Minimalstandards bei Arbeitssicherheit und psychischem und physischem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) nötig. Insbesondere müssen so die weiblichen Care-Angestellten vor (sexuellem) Missbrauch, Belästigung und Gewalt geschützt werden. In der Schweiz werden diese Erfordernisse trotz Ratifikation des Übereinkommens noch nicht genügend implementiert: So können z.B. Arbeitsinspektorate keine Besuche an Arbeitsplätzen von Care-Angestellten in den Haushalten machen.

Staat muss mehr investieren

Die Schweiz muss sich klar werden, dass Care-Arbeit keine private Angelegenheit ist, sondern eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe, ohne die die Wirtschaft zusammenkracht. Wir brauchen dringend eine Umverteilung: Die Allgemeinheit muss Verantwortung übernehmen und Ressourcen investieren - in Kinderbetreuungsplätze, Pflegeeinrichtungen aber auch in die Versorgung zu Hause. Bezahlte Care-Arbeit muss dem Arbeitsgesetz unterstellt werden. Geregelte Arbeits- und Ruhezeiten sowie existenzsichernde Mindestlöhne sind dabei zwingend. Den Rest müssen Frauen und Männer fair aufteilen.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
Top