Lohndruck ist Realität – Probleme insbesondere bei Neueinstellungen

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Medienmitteilung
Verfasst durch Daniel Lampart, Leiter SGB-Sekretariat und Chefökonom

Stellungnahme des SGB zum Observatoriumsbericht

Die Schweiz gehört zu den Ländern in Europa mit tiefer Arbeitslosigkeit und hohen Löhnen. Zum Schutz der Löhne und der Beschäftigung führte sie deshalb die Flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit ein. Die Flankierenden Massnahmen sind ein mächtiges Instrument, wenn sie konsequent angewendet werden. Sie haben nicht nur eine soziale Schutzfunktion, sondern sie sind auch das einzige nichtdiskriminierende Steuerungsinstrument für den Arbeitsmarktzugang. Wenn die Arbeitgeber ausländische Arbeitskräfte zu den gleichen Bedingungen anstellen müssen wie die Inländer, verhindert das eine Verdrängung von inländischen Arbeitskräften. Dann wandern nur diejenigen Arbeitskräfte ein, die im Land fehlen. Die Schweiz muss durchsetzen, dass bei uns Schweizer Löhne bezahlt werden. Damit schützt sie das Lohnniveau und verhindert die Verdrängung von Inländern durch Ausländer.

Damit die Schweizer Bevölkerung von den Vorteilen der Bilateralen Verträge profitieren kann und negative Auswirkungen verhindert werden, müssen die Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen geschützt sein.

Risikobereich Neueinstellungen

Besonderem Risiko von Lohndruck ausgesetzt sind Neuanstellungen. Lohnsenkungen sind hier ohne Änderungskündigung möglich. Ein Teil der Neuanstellungen betrifft die Neubesetzung von vakanten Dauerstellen. Sehr bedeutend und sensibel sind aber auch Temporärstellen, Kurzaufenthalte oder Entsendungen – d.h. kurzfristige Einsätze mit vielen Wechseln. Der Lohndruck bei den Neuanstellungen dürfte wegen der Frankenstärke noch zunehmen.

Der Observatoriumsbericht vermutet in gewissen Branchen (bspw. Industrie, Baugewerbe) einen Druck auf die Einstiegslöhne. Das gestützt auf Lohnstatistiken der Jahre 2002 bis 2008. Neuere Zahlen fehlen leider. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Lohndruck bei Neuanstellungen tendenziell zugenommen hat.

So arbeiten heute deutlich mehr Kurzaufenthalter (bis 90 Tage) in der Schweiz als 2008. Deren Arbeitsvolumen hat um rund 20 Prozent zugenommen. Die Löhne der Kurzaufenthalter sind durchwegs um rund 10 Prozent tiefer als diejenigen der Schweizer Arbeitnehmenden, die weniger als ein Jahr bei ihrem Arbeitgeber arbeiten.

Monatslöhne bei Anstellungen mit Dienstalter unter 1 Jahr

Quelle: BFS

Auch die Temporärbeschäftigung ist stark gestiegen (innert Jahresfrist um 25 Prozent). Diese zeichnet sich durch besonders häufig wechselnde Arbeitsverhältnisse aus. Dieses Jahr dürfte ein historischer Höchststand erreicht werden. Die Temporärbeschäftigung hat seit Einführung der Personenfreizügigkeit stark zugenommen. Das auch, weil die Bedingungen stark gelockert wurden. Im Gegensatz zu früher können heute Grenzgänger, Kurzaufenthalter und Meldepflichtige verliehen werden. Gemäss dem SECO-Bericht zur Umsetzung der Flankierenden Massnahmen haben 41 Prozent der Temporärbüros zu tiefe Löhne bezahlt.

Anteil Temporärarbeit am gesamten Arbeitsvolumen

Quellen: SECO, BFS, 2010 und 2011 Schätzung SGB

Grenzgänger – starke Zunahme der Hilfskräfte weist auf lückenhaften Lohnschutz hin

Die Zahl der Grenzgänger hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Auffallend ist, dass insbesondere die „Hilfsarbeitskräfte“ unter den Grenzgängern anteilsmässig deutlich gestiegen sind – nämlich von 12 Prozent im Jahr 2002 auf 17 Prozent 2010. Diese Entwicklung widerspricht der Einwanderungspolitik der Schweiz, gemäss der vor allem Arbeitnehmende mit besonderen Qualifikationen ins Land kommen sollen. Die starke Zunahme im Bereich der Hilfsarbeitskräfte weist darauf hin, dass der Schutz der Schweizer Löhne zu wenig konsequent durchgesetzt wurde. Denn an Hilfsarbeitskräften fehlt es der Schweiz nicht.

Lohndruck in ungeschützten Branchen ist eine Realität

Lohndumping und Lohndruck ist in der Schweiz eine Realität. Die Anfang Mai vom 
 SECO veröffentlichten Berichte der tripartiten Kommissionen weisen sogar auf eine Akzentuierung des Problems hin. Besorgniserregend ist die Lage vor allem in Branchen ohne Mindestlöhne. Denn hier können Arbeitgeber, die zu tiefe Löhne zahlen, nicht gebüsst werden. Betroffen sind vor allem die Branchen Reinigung (kleine Firmen in der Deutschschweiz), Temporärarbeit, Journalismus, Gartenbau, Handel sowie Teile der Industrie.

Das Gesetz sagt unmissverständlich, was in solchen Fällen zu tun ist (Art. 360a OR). Bei wiederholter, missbräuchlicher Lohnunterbietung müssen Bund und Kantone Mindestlöhne erlassen. Doch in der ganzen Deutschschweiz wurde das Gesetz bisher nicht angewendet mit Ausnahme des Bundes-NAV in der Hauswirtschaft. Kein Kanton hat bisher Mindestlöhne erlassen, obwohl die Lage in der Deutschschweiz nicht besser ist als in der lateinischen Schweiz. Auch der Bund ist kaum aktiv.

Schutz der Löhne und Arbeitsplätze mit lückenlosen Flankierenden garantieren

Damit die Löhne und Arbeitsplätze gesichert sind, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Bund und Kantone müssen Dumping aufdecken (Arbeitsmarktbeobachtung mit Kontrollen u.a.)
  • Die Schweizer Löhne müssen durchgesetzt werden (Mindestlöhne und Bussen bei Verstössen)

Diese Bedingungen sind leider nur teilweise erfüllt. Wie erwähnt wurden bisher kaum Mindestlöhne erlassen, so dass die Löhne auch bei Dumping ungeschützt sind. Der Bund muss dieses folgenschwere Vollzugsproblem lösen. Das Gesetz hat zudem empfindliche Lücken. Scheinselbständige können ungeschoren davonkommen. Und Schweizer Arbeitgeber, die gegen Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen verstossen, müssen nur eine Zivilklage fürchten. Bund und Kantone können sie nicht belangen. Diese Lücken müssen geschlossen werden. Um volle Transparenz bei den Neueinstellungen zu erhalten, müssen hier die Kontrollen intensiviert werden (50 Prozent der Neueinstellungen kontrollieren).

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
Top