Unterbeschäftigung auf Rekordniveau
Die Corona-Krise hat sehr schmerzhafte Spuren in der Arbeitswelt hinterlassen. Ende 2020 dürfte die Unterbeschäftigung in der Schweiz ungefähr 10 Prozent betragen haben (gemessen in Vollzeitstellen). Das ist im Vergleich zu früheren Rezessionen, wie beispielsweise der Finanzkrise, in einer ganz anderen Grössenordnung. Ohne die sozialpolitischen Stabilisierungsmassnahmen (Kurzarbeit, EO u. a.) wäre alles noch viel schlimmer. Um das zu sehen, reicht ein Blick in die USA, wo die Arbeitslosigkeit steil in die Höhe schoss.
Wirtschaftskrisen treffen in der Regel diejenigen am stärksten, die keine stabilen Arbeitsverhältnisse haben. Das sind Jüngere, Arbeitnehmende mit befristeten Stellen sowie in anderen prekären Vertragsformen wie Arbeit auf Abruf u. a. In der Corona-Krise ist die Erwerbsbeteiligung der 15 bis 24-Jährigen bedenklich stark gesunken, was nicht nur Sorgen in Bezug auf die Zukunft der Betroffenen, sondern auch auf die Zukunft der Schweizer Wirtschaft hervorruft.
Gleichzeitig ist es für Arbeitslose mit der Teil-Schliessung der Wirtschaft noch schwieriger geworden, wieder eine Stelle zu finden. Es drohen mehr Aussteuerungen. Das trifft besonders ältere Arbeitslose, wo die Arbeitslosigkeit bis November weiter zugenommen hat.
Geringverdienende überproportional betroffen – Kaufkraftprobleme verschärfen sich
Ebenfalls besonders stark betroffen sind GeringverdienerInnen. Weil die gesundheitspolitischen Massnahmen vor allem das Gastgewerbe, den Tourismus oder den Kultursektor betreffen, wo es mehr Arbeitnehmende mit tieferen Einkommen gibt. Sie sind häufiger arbeitslos und auch überproportional in Kurzarbeit. Die vom Parlament beschlossene Aufstockung der Kurzarbeit wird ihre Probleme lindern, was positiv ist. Allerdings profitieren nur Arbeitnehmende mit sehr tiefen Löhnen davon.
Dazu kommt, dass die Löhne kaum steigen, während die Belastung durch die Krankenkassenprämien anhaltend hoch ist. Die bereits vor der Corona-Krise herrschenden Kaufkraft- und Einkommensprobleme haben sich verschärft und nicht gelöst. Das belastet auch zunehmend den privaten Konsum und somit auch die Konjunkturentwicklung.
Krise trifft Schweiz in einer schwierigen Phase
Die Corona-Krise trifft die Schweizer Wirtschaft in einer schwierigen Phase. Die starke Überbewertung des Frankens hat nicht nur die Exportwirtschaft, sondern auch die Investitionsaktivität spürbar ausgebremst. Die Schweizer Exporte von Industriemaschinen haben sich seit 2008 halbiert und sind im laufenden Jahr auf das Niveau von 1988 gefallen. Das Investitionswachstum – insbesondere in den Zukunftskategorien ICT, F&E und Software – war sogar geringer als im krisengeplagten Euroraum.
Von den 1990er Jahren bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 hat die Schweizer Wirtschaft von der Entwicklung auf den Finanzmärkten profitiert. Die steile Aufwärtsbewegung auf den Finanzmärkten erlaubte eine komfortable Finanzierung der Pensionskassen. Auch der Finanzplatz profitierte. Und der Frankenkurs war für die Realwirtschaft günstig. Ab der Finanzkrise drehte sich das jedoch um. Einerseits leidet die Realwirtschaft stark unter der Aufwertung des Frankens. Andererseits wird die Finanzierung der Pensionskassen schwieriger. Die Neurenten bei den Pensionskassen sinken, obwohl wir immer höhere Beiträge zahlen müssen..
Kaum ein Land ist so abhängig von den Finanzmärkten wie die Schweiz mit ihrem grossen Finanzplatz und den bedeutenden Pensionskassen. Zudem ist die Wirtschaft stark dem Wechselkurs ausgesetzt. Denn die Schweiz ist stark vom Export abhängig und hat eine eigene, flexible Währung. Auf- und Abwertungen wirken sich daher stärker auf das BIP aus als in den meisten anderen Ländern
Die ungünstige Entwicklung seit der Finanzkrise kann sich noch verstärken. Denn aufgrund der geringeren Erträge aus den Finanzanlagen wird mehr gespart, was das Ertragspotenzial weiter verringert. Das nicht nur in den Pensionskassen, wo das Anlagekapital durch die höheren Beiträge steigt, sondern auch in der Unfallversicherung. Zudem führen die sinkenden Pensionskassenrenten dazu, dass mehr Leute ein Fondskonto in der 3. Säule eröffnen werden.
Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen und Forderungen
Die wirtschafts- und sozialpolitische Agenda 2021 ist anspruchsvoll. Unmittelbares Ziel bleibt, dass die Arbeitsplätze und die Löhne in der Corona-Krise gesichert werden. Sobald die Pandemie unter Kontrolle ist (Impfungen, Immunität der Corona-Erkrankten u. a.) muss alles unternommen werden, um die Konjunktur wieder in Gang zu setzen und die enorme Unterbeschäftigung abzubauen. Für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz braucht es ein Umdenken in Bezug auf die Finanzmarktabhängigkeit. Das Preis-Leistungsverhältnis in der Altersvorsorge kann durch die Stärkung der Umlageverfahren verbessert werden. Und in der Geldpolitik braucht es einen stärkeren Effort gegen die giftige Frankenüberbewertung, welche die Entwicklung der für die Zukunft wichtigen Bereiche der Investitionen und der Realwirtschaft beeinträchtigt. Auch der ökologische Umbau braucht eine intakte Realwirtschaft. Daraus ergeben sich folgende Forderungen:
- Eine Ausschüttung der überschüssigen Prämienreserven von 5 Mrd. Franken Das gibt nicht nur einen Kaufkraftimpuls von über 500 Franken pro Kopf in einer schwierigen Zeit. Darüber hinaus müssen die Krankenkassen-Prämienverbilligungen steigen.
- Eine Verlängerung der Anzahl Taggelder sowie der Rahmenfristen in der ALV bis zum Frühjahr – wie in der ersten Welle. Verlängerungen brauchen insbesondere ältere Arbeitslose und Arbeitslose in Branchen und Berufen, die ganz oder teilweise geschlossen werden.
- Weitere Unterstützungsmassnahmen für die geschlossenen Branchen, um Konkurse und Entlassungen zu verhindern – beispielsweise indem über das Instrument der Kurzarbeit zusätzliche Mittel überwiesen werden. Die Härtefalllösungen greifen nur teilweise und sind langsam.
- Der stark beanspruchte Gesundheitssektor braucht finanzielle Garantien, um die entsprechenden Kapazitäten stellen zu können. Das stark beanspruchte Personal hat zudem eine Lohnerhöhung mehr als verdient.
- Eine Stärkung des Umlageverfahrens in der Altersvorsorge, über die Umlagekomponente im BVG-Kompromiss der Sozialpartner und über eine 13. AHV-Rente. Die Forderungen nach weiteren Steuererleichterungen bei der 3. Säule stehen völlig quer in der Landschaft. Die AHV soll durch einen Teil der SNB-Gewinne mitfinanziert werden.
- Eine konsequentere Bekämpfung der Frankenüberbewertung. Hier gibt es noch Potenzial, indem die SNB klarer kommuniziert und sich entsprechende Ziele vorgibt.[2]
[1] Schätzung mit einem VAR-Modell über den Zeitraum von 1994 bis 2019. Variablen: realer Wechselkursindex gemäss BIZ und reale BIP
[2] s. die Verweise in diesem Blog-Beitrag: www.sgb.ch/themen/wirtschaft/detail/schweizer-maschinenexporte-auf-dem-niveau-von-1988-bekaempfung-der-frankenueberbewertung-ist-ueberfaellig-und-moeglich.