Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten: 10 Richtigstellungen

  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
  • Arbeitsrechte
Artikel
Verfasst durch Jean Christophe Schwaab, SGB-Zentralsekretär

Die Anhänger möglichst ungeregelter Ladenöffnung lancieren Vorstoss um Vorstoss. Ihre Argumente hingegen sind immer die gleichen – und sie können einfach wiederlegt werden. Hier die zehn wichtigsten Beispiele.

  1. Richtig ist: Flexible Ladenöffnungszeiten schaffen keine neuen Stellen. Wer seinen Hunderter am Sonntag ausgibt, kann ihm nicht nochmals während der Woche ausgeben (und umgekehrt). Die Kaufkraft der Konsument/innen steigert sich nicht, nur weil der Zeitraum der Konsummöglichkeiten zunimmt. Zwar werden ausserhalb der gewöhnlichen Arbeitszeiten Stellen geschaffen, während der Woche jedoch solche abgeschafft. Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten begünstigt zudem das Verschwinden der kleinen Läden zugunsten der grossen Ketten. Und die beschäftigen, relativ gesehen, mehr Menschen. 
  2. Richtig ist: Die Länder, welche die Ladenöffnungszeiten liberalisierten, machen damit schlechte Erfahrungen. Die Liberalisierung kann sich wirtschaftlich sowohl positiv wie negativ auswirken. Das aktuelle Beispiel Portugal belegt letzteres. Der neu schrankenlose Sonntagsverkauf führt dazu, dass die Geschäfte in den Stadtzentren die Kundschaft zunehmend an die grossen Einkaufszentren der urbanen Peripherie verlieren. Das neue Verhalten der Kundschaft führt zudem zu mehr Privatverkehr. 
  3. Richtig ist: Wer nachts und sonntags arbeitet, tut dies meist nicht freiwillig. Im Prinzip verlangt das Arbeitsgesetz eine Einwilligung des Arbeitnehmers, wenn dieser nachts oder sonntags arbeiten soll. In der Praxis verhält es sich so, dass der Arbeitgeber niemanden anstellt, der bekennt, nicht ausserhalb der normalen Arbeitszeiten arbeiten zu wollen. Dazu gesellt sich häufig eine Kündigungsdrohung an jenes wochentags angestellte Personal, das nicht an einem Sonntag arbeiten will. 
  4. Richtig ist: Angestellte, die nachts und sonntags arbeiten, haben nicht immer Anrecht auf einen Lohnzuschlag. Bei Sonntagsarbeit ist der Lohnzuschlag nur geschuldet, wenn die angestellte Person maximal 6 Sonntage pro Jahr arbeitet (einmal pro zwei Monate). Nach dem siebten Arbeitssonntag im Jahr ist der Zuschlag nicht mehr obligatorisch. In der Mehrheit der Branchen, denen erlaubt wurde, vom Verbot der Sonntagsarbeit abzuweichen, geht die Anzahl der Arbeitssonntage bis zu – 40 pro Jahr (lediglich ein freier Sonntag pro Jahr). Bei Nachtarbeit ist der Lohnzuschlag nur für maximal 24 Nächte pro Jahr geschuldet. Dabei sind die Arbeitsbedingungen im Detailhandel alles andere als beneidenswert: tiefe Löhne und prekäre Arbeitsbedingungen (etwa Arbeit auf Abruf) sind die Regel. Darüber hinaus zeigen Umfragen, von der Gewerkschaft im letzten Jahr beim Verkaufspersonal durchgeführt, dass erhöhter Druck und Stress in Zusammenhang u.a. mit den verlängerten Ladenöffnungszeiten für das Verkaufspersonal das grösste Problem darstellen. Dazu kommen weitere Gefahren: Nachts offene Läden werden häufig überfallen. Zudem ist Nachtarbeit gesundheitsschädlich: sie verursacht insbesondere Herz-, Schlaf- und Verdauungsbeschwerden und erhöht das Krebsrisiko. 
  5. Richtig ist: Sonntags und nachts arbeiten nicht nur Student/innen ohne Familienpflichten oder Menschen, die ausserhalb der üblichen Zeiten erwerbstätig sein wollen. Natürlich freuen sich zahlreiche Student/innen über einen Sonntagsjob. So können sie die mageren Stipendien kompensieren. Dennoch: die Mehrheit der zu Sonntagseinsätzen Aufgerufenen arbeitet auch während der Woche; ihre Beschäftigung ist nicht nur ein «Zustupf» während der Ausbildung. Die Mehrzahl dieser normal berufstätigen Personen sind Frauen, unter ihnen zahlreiche alleinerziehende Mütter, die nicht ausserhalb der üblichen Zeiten arbeiten können. Zudem befinden sich viele betroffene Beschäftigte in einer prekären Situation, was sie zwingt, jede Stelle anzunehmen. 
  6. Richtig ist: Nacht- und Sonntagsarbeit im Verkauf betrifft nicht nur «einige Angestellte» im Detailhandel. Wenn ein Laden ausserhalb der üblichen Arbeitszeiten öffnet, dann müssen Zulieferbetriebe mitziehen: Lieferung, Logistik, Sicherheit, Reinigung, Informatik etc. Und je mehr wir uns der rastlosen, dauerproduzierenden Gesellschaft nähern, desto mehr werden andere Dienstleistungen rund um die Uhr beansprucht werden: öffentlicher Verkehr, Krippen usw. 
  7. Richtig ist: Die Bedürfnisse der Konsument/innen haben sich nicht grundlegend geändert, sie wollen nicht rund um die Uhr konsumieren. Ob auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene: die entsprechenden Abstimmungen zeigen grossmehrheitlich, dass die Menschen erweiterte Ladenöffnungszeiten ablehnen, unabhängig davon, ob der Abend, der Samstag oder der Sonntag davon betroffen sind. Zwischen 2006 und 2010 haben die Gewerkschaften 90 % der entsprechenden Abstimmungen gewonnen. .
  8. Richtig ist: Nicht die Präsenz von Personal sondern die verkaufbaren Güter bestimmen die Öffnungszeiten. Die Liberalisierungsanhänger behaupten, dass das Sortiment der Läden, die bereits sonntags oder nachts offen haben können, erweitert werden könne, da „das Personal ja ohnehin schon anwesend“ sei. Dieses Argument schwächt den Arbeitnehmerschutz, denn ein Produkt, dessen Verkauf rund um die Uhr zugelassen ist, würde ausreichen, damit der ganze Laden unbegrenzt offen halten kann. 
  9. Richtig ist: Die üblichen im Gesetz festgehaltenen Arbeitszeiten schützen die Angestellten; sie verhindern Konsum während der Nacht und am Sonntag nicht. Sonntags ist jegliches Gut und jegliche Dienstleistung in grossen Bahnhöfen und Flughäfen zu erlangen. In den übrigen Bahnhöfen und entlang von Hauptverkehrsachsen, die touristisch stark frequentiert sind, können Reisende und Autofahrende sonntags und nachts bis 1 Uhr in der Früh alles für nötig Erachtete besorgen. In Fremdenverkehrsgebieten können Betriebe, die der Befriedigung spezifischer Bedürfnisse der Touristen dienen, sonntags offen halten. Bäckereien Blumenläden,  Tankstellen, Gastbetriebe, Apotheken im Notfalldienst dürfen nachts und/oder sonntags öffnen. Fazit: Lebensnotwenige Güter sind also problemlos während der Nacht oder am Sonntag erlangbar. Und für die übrigen Güter kann man auch bis zum Morgen oder bis zum Montag warten. 
  10. Richtig ist: Nacht- und Sonntagsarbeit werden zunehmend umfassend liberalisiert – und banalisiert. Die Anhänger der totalen Arbeitszeit-Flexibilisierung wenden die Taktik des „Salamischnitts“ an. Sie drücken einen Flexibilisierungsschritt in einer Branche durch – und schon streben sie den nächsten an. Das Ziel ist klar gegeben: die umfassende Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die so Überzeugten wissen jedoch, dass eine konzertierte Attacke auf die Sonntags- und Nachtruhe und auf die üblichen voraussehbaren Arbeitszeiten in einer Volksabstimmung keine Chance hätte. Deshalb greifen sie zur Salamitaktik. In kleinen Schritten wird das Ganze visiert. Die direkt Betroffenen und das Volk jedoch lassen sich nicht übertölpeln! 

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

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Luca Cirigliano
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