Kündigungsschutz als Menschenrecht

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Verfasst durch Luca Cirigliano

Juristische Expertinnen und Experten diskutieren an SGB-Fachtagung

Es gibt eine Dynamik beim Kündigungsschutz in der Schweiz: Dank des Grundrechtsschutzes aus Bundesverfassung, Europäischer Menschenrechtskonvention EMKR und ILO-Konventionen und progressiver Rechtsprechung hat sich die Situation zum besseren gewendet. Trotzdem zeigt sich insbesondere auch den Handlungsbedarf in Gesetzgebung. Diese Dynamik hat die juristische Fachtagung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) jetzt beleuchtet.

Bedeutung von ILO-Konventionen und EMRK für die Gerichte

Prof. Dr. Mahon (Universität Neuenburg), Prof. Dr. Kurt Pärli (Universität Basel) sowie Dr. Luca Cirigliano vom SGB zeigten in ihren Vorträgen die steigende Bedeutung der ILO-Konventionen insbesondere zu Gewerkschaftsfreiheit (Nr. 87 und 98) sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in der Rechtsprechung des Bundesgerichts. Das Bundesgericht hat in einem Leitentscheid (2c_499/2015, BGE 144 I 50) klargestellt dass Gewerkschaften Zugang zu den Arbeitsplätzen haben. Der Fall, über den das Bundesgericht entschieden hat, geht auf eine Klage der Gewerkschaft VPOD zurück und bezog sich auf auf Arbeitsplätze des Kantons Tessin. Das Urteil geht aber über den öffentlichen Dienst hinaus und kann auch auf private Arbeitsplätze angewendet werden. Das Bundesgericht hat nämlich in seinem publizierten Entscheid erstmals klargestellt, dass ILO-Recht über die EMRK direkten Einfluss auf die Interpretation der Gewerkschaftsfreiheit gemäss Art. 28 der Bundeverfassung hat. Die ILO und EMRK sehen einen besseren Kündigungsschutz vor sowie Zutrittsrechte für Gewerkschaften am Arbeitsplatz vor.

Insbesondere missbräuchliche Kündigungen sowie Probleme bei Zutritts- und Informationsrechte können anhand dieser Praxisänderung besser bekämpft werden. Das Gleiche gilt für die Chance, gegen den Arbeitgeber vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen.

Gerichtlichen Kampf gegen diskriminierende Kündigungen verstärken!

Der Vortrag von Prof. Dr. Karine Lempen der Universität Genf zeigte eindrücklich, wie sich in den letzten Jahren die Praxis des Bundesgerichts zugunsten von älteren Arbeitnehmenden und von Frauen geändert hat, denen aus diskriminierenden Gründen gekündigt wurde. Es wurden bahnbrechende Urteile gesprochen. Älteren, langjährigen Mitarbeitenden darf nun nicht mehr ohne Ergreifen verschiedener Massnahmen und nicht ohne vorgängigem Anhörungsrecht gekündigt werden, ansonsten gilt die Entlassung als missbräuchlich.

Der Vortrag von Frau Lempen, der sich auf eine Studie der Universität Genf stützt, zeigte jedoch auch, dass gerade bei diskriminierenden Kündigungen von Frauen häufig vom Gericht nicht das Gleichstellungsgesetz sondern nur die allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsrechts angewandt werden. Dies ist erschreckend! Denn damit entfällt für die Frauen, die z.B. gegen Lohndiskriminierung kämpfen, die Möglichkeit der Wiedereinstellung sowie die für sie vorteilhafte Beweislastumkehr. Es muss daher Ziel sein, stets Art. 10 des Gleichstellungsgesetzes anzuwenden. Darauf müssen Richterinnen und Richter wie auch Anwältinnen und Anwälte verstärkt achten.

ILO verlangt weiterhin eine Revision des OR

Eindrücklich war schliesslich das Referat von Dr. Karen Curtis, Vizedirektorin des Normenausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Sie zeigte anhand der Empfehlungen der ILO an die Schweiz auf, dass das Obligationenrecht eine Änderung braucht, um völkerrechtskonform zu sein. Sowohl aus Verpflichtungen von ILO und für EMRK ergibt sich nämlich klar, dass das Schweizer Kündigungsrecht im Falle von antigewerkschaftlichen Kündigungen und Kündigungen von Mitgliedern in Pekos und Pensionskassen-Gremien auch die Wiedereinstellung vorsehen muss. Weiter sind die heute von Gerichten im Falle der Missbräuchlichkeit normalerweise zuerkannten Entschädigungen in Höhe von zwei bis drei Monatslöhnen aus Sicht der ILO viel zu tief. Sie sind nicht abschreckend genug.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

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