Kein Shoppen rund um die Uhr!

  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
  • Schweiz
Artikel
Verfasst durch Luca Cirigliano

Heute im Ständerat: Mehrfronten-Angriff auf das Detailhandelspersonal

In der Herbstsession wird das Verkaufspersonal im Detailhandel, eine bereits sehr stark prekarisierte Branche, mit gleich drei Vorstössen drangsaliert. Es soll länger arbeiten, in Tankstellenshops auch durchgehend nachts und sonntags.

Das Trommelfeuer der Deregulierungslobby findet seine aktuellste Form in der Parlamentarischen Initiative des Genfer Nationalrats Christian Lüscher (FDP). Diese verlangt, dass Tankstellen an Autobahnen und „Hauptverkehrsstrassen“ (potentiell also an jeder besseren Dorfhauptstrasse!) neu ihre Ladenöffnungszeiten auf 24 Stunden ausdehnen können, inkl. Sonntage. So könnte jeder Shop-Betreiber selbst entscheiden, ob er nachts überhaupt schliessen will. Eine Amerikanisierung der Ladenöffnungszeiten wäre bei vielen der über 1600 Tankstellenshops in der Schweiz wohl bald Realität.

Bereits heute sehr prekäre Arbeitsbedingungen

Das Personal solcher Shops, welches bereits heute zu sehr schlechten Bedingungern arbeiten muss, wäre noch schädlicheren Einflüssen ausgesetzt. Zum einen werden Tankstellenshops häufig in Franchise geführt, was meist ein prekäres arbeitsrechtliches Umfeld bedeutet. Zum anderen hat die Nachtarbeitszeit erwiesenermassen einen negativen Einfluss auf die Gesundheit und das soziale Leben der Arbeitnehmenden. Ebenso ist die Gefahr von kriminellen Übergriffen auf das Verkaufspersonal (v.a. nächtliche Raubüberfälle) in den letzten Jahren gestiegen. Ganz zu schweigen von den schädlichen Auswirkungen unbeschränkt verlängerbarer Öffnungszeiten auf das häufig spontane Alkohol-Konsumverhalten von Jugendlichen (Binge Drinking). Nicht vergessen darf man, dass in dieser Branche alle Bemühungen, einen nationalen branchenweiten Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen, am Widerstand der Arbeitgeber gescheitert sind.

Kompromiss, der keiner ist

Dass der Bundesrat nun mit einem sogenannten „Kompromissvorschlag“ aufwartet, welcher bloss die Anzahl der zu deregulierenden Shops etwas nach unten schraubt, kann man nur als Augenwischerei bezeichnen: 24-Stunden-Betriebe mit all ihren negativen Auswirkungen würden möglich bleiben. Die Gewerkschaften lehnen auch den „Kompromissvorschlag“ ab und behalten sich auch für diesen ein Referendum vor.

Motion Hutter

Eine Motion des Zürcher Nationalrats Markus Hutter (FDP) schlägt in die gleiche Kerbe, jedoch mit noch extremeren Forderungen: Nationalrat Hutter möchte erreichen, dass es den Kantonen völlig freigestellt würde, die Öffnungszeiten aller Verkaufsstellen (also nicht nur von Tankstellenshops!) nach eigenem Gutdünken festzulegen. Alle Leit- und Schutzplanken des Bundes sollten ausgehebelt werden. Nacht- und Sonntagsarbeit könnten so in Zukunft je nach kantonaler Gesetzessystematik mit einer blossen Änderung auf Verordnungsebene möglich werden.

Lombardi: Diktat zu längeren Arbeitszeiten

Ebenso bedenklich ist die Stossrichtung der neuen Motion des Tessiner Ständerates Filippo Lombardi (CVP). Der Bund soll von oben herab in der ganzen Schweiz (ob Stadt oder Land, ob Tourismusregion oder abgeschiedene Bauerngemeinde) via Änderung des Binnenmarktgesetzes „harmonisierte Mindestbetriebszeiten“ für Detailhändler von 6 bis 20 Uhr (samstags von 6 bis 19 Uhr) einführen. Nach so erfolgter Reform dürften die Kantone die Öffnungszeiten nicht einschränken, sondern nur noch weiter ausdehnen. Ständerat Lombardi bedient sich bei der Begründung des Vorstosses eines völlig untauglichen Argumentes: Längere Öffnungszeiten würden automatisch weniger Einkaufstourismus ins grenznahe Ausland bewirken. Dass dies nicht stimmt, zeigt ein kurzer Blick auf zwei Grenzkantone mit bereits langen Öffnungszeiten, die trotzdem einen starken Einkaufstourismus ausgesetzt sind: Aargau und Zürich.

Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass der Bundesrat vor wenigen Tagen diese Einschränkung der demokratischen Rechte der Kantonsbevölkerungen zur Annahme empfohlen hat. Es bleibt zu hoffen, dass gerade der Ständerat als föderalistische Kammer keine Hand bieten wird, hier die Kantonssouveränität einzuschränken.

Deregulierung bekämpfen

Diese Angriffe auf die Rechte des Ladenpersonals wirken umso trotziger und ideologisch verbohrt, als sich verschiedene Volksabstimmungen in den letzten Jahren gegen eine weitere Deregulierung von Ladenöffnungszeiten geäussert haben. Im Sommer dieses Jahres war dies in Luzern und Zürich der Fall. Für den SGB ist es klar, dass der Detailhandel, der mit 320‘000 Beschäftigten nach dem Baugewerbe die zweitgrösste Branche der Schweiz darstellt, nicht zum Experimentierfeld der Deregulierungs-Ideologen werden darf. Bereits sind die Arbeitszeiten lang, die Löhne sehr tief und die weiteren Arbeitsbedingungen (fehlender nationaler branchenweiter Gesamtarbeitsvertrag) gerade im Bereich der Tankstellenshops prekär. Deshalb werden die Gewerkschaften die Deregulierungsansinnen bekämpfen, wenn nötig auch per Referendum. Die Abstimmungsresultate zeigen, dass der Souverän auf der Seite des Verkaufspersonals ist. 

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
Top