Neues SGB-Dossier zur Entwicklung der Boni bestätigt die dramatisch zunehmende Lohnungleichheit
In ihrem Kampf gegen die Volksinitiative 1:12 versuchen die finanzstarken Gegner der Bevölkerung weiszumachen, dass sich in der Schweiz die Lohnschere nicht geöffnet habe. Dass dies die kampagnenführenden Parteien und Verbände tun, ist eine Sache. Etwas anderes ist es aber, wenn Medien, die wie das Fernsehen dem Service Public verpflichtet sind, diese Propaganda verbreiten. Prominent tat dies das Wirtschaftsmagazin Eco. Es stützte sich für die irreführende Botschaft auf Statistiken, die für diesen Zweck ungeeignet sind (Haushaltsbudget-Erhebung).
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund legt jetzt eine aktuelle Studie vor, die auf der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik beruht, welche auch die hohen und höchsten Einkommen erfasst (statt sie wie die Haushaltserhebung auszublenden). Die Studie bestätigt eindrücklich, dass die hohen und höchsten Löhne in der Schweiz seit den 1990er Jahren viel stärker zugelegt haben als die mittleren und unteren Löhne. Ein starker Treiber für die Lohnexzesse der hohen und höchsten Einkommen waren die Boni. Die Studie zeigt erstens, dass die Boni in der Privatwirtschaft zwischen 1996 und 2010 von zwei Milliarden auf 10 Milliarden Franken zugenommen haben. Und sie zeigt zweitens, dass diese Boni fast ausschliesslich von den hohen Lohnklassen kassiert worden sind. Die Analyse zeigt: Wo Löhne verhandelt werden, gibt es weniger Lohnungleichheit. Boni werden hingegen nicht verhandelt, sondern von den Arbeitgebern und Managern verteilt. Dabei teilen sich die Kader und Bestverdiener selber gleich die grössten Anteile zu.
Breite Kreise der Bevölkerung haben seit Jahren das Gefühl, dass in den Chefetagen während der letzten 10, 15 Jahre unglaublich abgezockt wurde, während ihre Einkommen stehen geblieben sind. Die Studie belegt, dass das nicht nur ein Gefühl, sondern die Realität ist. Die Boni haben die Selbstbedienungsmentalität in den hohen und höchsten Lohnklassen gefördert. Sie haben die zunehmende Ungleichheit bei den Einkommen beschleunigt. Und wir wissen inzwischen, dass Boni-Exzesse auch volkswirtschaftlich ausserordentlich schädlich waren, haben sie doch dazu geführt, dass zur Boni-Maximierung unverantwortliche Risiken eingegangen wurden, die letztlich allen geschadet haben (nicht nur, aber allen voran bei den Banken). Eine auf Boni ausgerichtete Lohnpolitik schafft falsche Anreize.
Die schlechte Botschaft ist somit, dass die enormen und stark bonigetriebenen Einkommenszuwächse der hohen und höchsten Einkommensklassen eine Realität sind. Die gute Botschaft ist, dass diese Fehlentwicklungen nicht unveränderbar sind, sondern dass dagegen etwas unternommen werden kann.
Die zentrale und allen anderen Mitteln längerfristig überlegene Massnahme ist die Stärkung der Gesamtarbeitsverträge mit Mindestlöhnen. Dort, wo kollektiv über Löhne verhandelt wird, ist die Lohnungleichheit weit geringer als dort, wo das nicht der Fall ist. In der Schweiz stehen wir hier vor neuen entscheidenden Weichenstellungen. Nachdem im Bundeshaus die Chancen für die Stärkung der Sozialpartnerschaft, die sich bei der Behandlung der Mindestlohninitiative ergeben hätten, aus ideologischen Gründen verpasst werden, stehen wichtige Schritte bei den Verhandlungen über die flankierenden Massnahmen zu den bilateralen Verträgen bevor. Lohnobergrenzen und eine Verhältniszahl zwischen unteren und hohen Löhnen im Unternehmen, wie sie 1:12 verlangt, sind eine Massnahme zur Bekämpfung der grössten Exzesse. Die Schweiz würde auch international mit einem solchen Beitrag zu lohnpolitischer Vernunft im positiven Sinne Furore machen.
Auch in der Steuerpolitik gibt es genügend Mittel zur Korrektur. Eine Bonussteuer ist nur eine Möglichkeit. Wichtig sind alle Massnahmen, die dafür sorgen, dass nach dem bewährten Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch die hohen Einkommen in der Logik der Steuerprogression ihren Beitrag zu den allgemeinen Lasten tragen müssen.