Schweizerfahne vor EU-Fahne

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Ja zu einem sozialen Europa, mit gesichertem Lohnschutz

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Artikel

Übernahme fortschrittlicher EU-Rechte verbessert die Lage der Berufstätigen in der Schweiz. Der SGB zum Projekt «Abbau der Regulierungsunterschiede»

Der Bundesrat hat in der Europapolitik entschieden, Schweizer Regulierungen an die EU-Bestimmungen anzupassen, wenn dies im Interesse der Schweiz ist. Die Gewerkschaften unterstützen dieses Anliegen, stellen aber fest, dass wir aktuell noch weit von diesem Ziel entfernt sind. Gerade im Bereich der sozialen Rechte und des Arbeitnehmerschutzes könnte die Schweiz die Lage der Berufstätigen mit einer Anpassung an EU-Standards stark verbessern und gleichzeitig die Integration der Schweiz in den europäischen Binnenmarkt verbessern. Der SGB fordert den Bundesrat deshalb auf, diese Arbeiten rasch voranzutreiben und die entsprechenden Verbesserungen im Schweizer Recht in die Wege zu leiten.

Bestehende EU-Regulierungen und -Institutionen

  • Equal pay im Personalverleih (Richtlinie 2008/104 über Leiharbeit): Gemäss Richtlinie sind Temporärbeschäftigte grundsätzlich in allen arbeitsrechtlichen Belangen den Festangestellten gleichzusetzen. Der in der Schweiz geltende GAV Personalverleih geht nicht so weit. Er enthält in vielerlei Punkten schlechtere Regelungen als die Branchen- und Firmen-GAV, die für die Festangestellten anwendbar sind.
  • Verbesserung der Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz mit einem expliziten Recht auf «Stopp bei Gefahr: RL vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit. Diese RL statuiert, dass einem Arbeitnehmer, der bei ernster, unmittelbarer und nicht vermeidbarer Gefahr seinen Arbeitsplatz bzw. einen gefährlichen Bereich verlässt oder die Arbeit einstellt, keine Nachteile (Entlassung, etc.) entstehen dürfen. Dieses Recht ist in der Schweiz nicht explizit vorgesehen.
  • Sehr positiv ist auch, dass das Europäische Parlament die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auffordert, die Rolle der Europäischen Betriebsräte zu stärken und sicherzustellen, dass deren Stellungnahmen auch tatsächlich berücksichtigt werden müssen, ehe Vorstände und Geschäftsführungen eine finale Entscheidung treffen. (Mitwirkung im Betrieb/RL 2009/38).

Die Gewerkschaften verlangen, dass der Bundesrat gesetzliche Normen erarbeitet, welche diesen bereits bestehenden Richtlinien entsprechen.

  • Aufenthaltssicherheit für EU-BürgerInnen in der Schweiz: EU-BürgerInnen in der Schweiz sind seit der Revision des Ausländergesetzes vermehrt von Ausschaffung bedroht, auch wenn sie hier Steuern und Sozialversicherungen bezahlt haben. Die einschlägigen Regelungen der EU-Unionsbürgerrichtlinie bezüglich Aufenthaltssicherheit sollen von der Schweiz übernommen werden. Die Gewerkschaften unterstützen ihre Übernahmein schweizerisches Recht ausdrücklich, wobei mögliche Schlupflöcher für Scheinselbständigkeit und Lohndumping durch flankierende Massnahmen verhindert werden müssen.
  • ELA: Die Europäische Arbeitsagentur (ELA) hat ihre Arbeit aufgenommen. Ihre Aufgabe ist u.a. die Aufdeckung transnational organisierter Schwarzarbeit und Missbräuchen bei der Entsendung. Unsere KollegInnen vom EGB, ÖGB und DGB sind in den Steuerungsgremien und Arbeitsgruppen der ELA vertreten. Die Schweiz hat lediglich den Beobachter-Status beantragt und erhalten, die Schweizer Sozialpartner wurden nicht eingeladen. Die Schweiz soll sich stärker engagieren und die Sozialpartner in ihrer Delegation in der ELA und deren Arbeitsgruppen integrieren.
  • Eurofund: Die EU-Agentur, welche die Lebens- und Arbeitsbedingungen analysiert und vergleicht, ist die «Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen», der Eurofound. Hier soll die Schweiz beitreten. Schon vor Jahren haben die Gewerkschaften den Beitritt und die Mitarbeit der Schweiz zu dieser Agentur verlangt.

Hängige EU-Richtlinien

  • Lohngleichheit/Gender-Pay-Gap: Eine neue Richtlinie soll dazu beitragen, dass Männer und Frauen in der EU künftig für gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden. Der Kommissionsentwurf der EU-Richtlinie vom März 2021 enthält Rechte der Frauen, welche über das neue Gesetz in der Schweiz hinausgehen. U.a. sollen Unternehmen in der EU dazu verpflichtet werden, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber offenzulegen, auf welche Kriterien sie Entscheidungen zu Gehalt und Karrierechancen im Unternehmen stützen. Beschäftigte sollen künftig in der ganzen EU einen Anspruch darauf haben, Informationen über die Höhe ihres individuellen Lohns und über den Durchschnittslohn von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht anfordern und erhalten zu können. Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten sollen ausserdem jährlich Informationen zum Lohngefälle zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten ihrer Organisation bereitstellen. Die Arbeitgeber müssen diese Informationen an die zuständigen nationalen Behörden weitergeben und sie ihren Beschäftigten und deren Vertretungen bereitstellen. Die Richtlinie dürfte bald beschlossen werden.
  • Gegen falsche Selbständigkeit in Plattformarbeit: Im Dezember 2021 hat die EU-Kommission den Entwurf einer Richtlinie publiziert, welche die Beschäftigten von Plattformen grundsätzlich als Arbeitnehmende definiert und einen dritten Status (halb selbständig, halb angestellt) ablehnt. Die Richtlinie dürfte bald beschlossen werden.
  • Mindestlohn-Richtlinie und Förderung von Kollektivverhandlungen: Positive Entwicklungen gibt es auch bei den Gesamtarbeitsverträgen und den Mindestlöhnen. Der Kommissionsentwurf der EU-Richtlinie von Oktober 2020 formuliert Kriterien für gesetzliche Mindestlöhne und setzt als Benchmark bei 60% des Medians an. Die Richtlinie gilt allerdings nicht in Ländern, wo die Sozialpartner keinen gesetzlichen MiLo wollen. Allerdings werden Länder, welche einen Abdeckungsgrad der Kollektivverträge von weniger als 70% haben, verpflichtet, einen Aktionsplan zur Stärkung der GAV umzusetzen. Dieser beinhaltet u.a. GAV bei öffentlichen Aufträgen, Stärkung der Gewerkschaftsrechte, u.a. die Verpflichtung auf einen Aktionsplan um 70% Abdeckung zu erreichen. Die Richtlinie zu Mindestlöhnen und Kollektivverhandlungen (zusammengefasst in einer Richtlinie) kann bald vom Parlament beschlossen werden.
  • Unternehmensverantwortung: Das in der Schweiz anstelle der Konzernverantwortungs-Initiative (KoVI) eingeführte Gesetz und dessen Verordnung ist hinter dem zurück, was in mehreren EU-Staaten gilt und was als Projekt in der Pipeline in Brüssel ist. Der Bundesrat hatte immer versprochen, die Schweiz würde nachziehen, wenn die EU über die CH-Regelungen hinausgehen würde.
  • Schweizer Taggelder für GrenzgängerInnen: In der EU gibt es Diskussionen, dass GrenzgängerInnen die Arbeitslosenleistungen des Staates erhalten, in dem sie arbeiten und in die Versicherung einbezahlt haben. Der Vorschlag ist momentan im EU-Parlament hängig. Unabhängig vom Ausgang dieser Debatte ist die Tatsache, dass Grenzgängerinnen in der Schweiz Arbeitslosenbeiträge zahlen ohne aber Anspruch auf Schweizer Arbeitslosengeld zu haben stossend und soll vom Bundesrat korrigiert werden.

Ein solcher Beitrag der Schweiz zu grenzüberschreitender sozialer Sicherheit würde zweifellos auch die Weiterentwicklung der guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa unterstützen. Dasselbe gilt auch für ein Bekenntnis zur Übernahme der Normen aus den übrigen hängigen EU-Richtlinien, sobald sie denn beschlossen sind.

Zwingende Gründe für einen starken Schweizer Lohnschutz bestehen fort

Im Bereich des Lohnschutzes steht die Schweiz vor besonderen Herausforderungen. Die Durchschnittslöhne sind in der Schweiz dreimal höher als in der EU. Daher braucht es in einem europaweit offenen Arbeitsmarkt in der Schweiz auch substanziell stärkere Schutzmassnahmen und deutlich mehr Kontrollen, als in der EU. Aus Sicht des Arbeitnehmerschutzes und der sozialen Lage der Berufstätigen wäre eine Schwächung des Lohnschutzes fatal. Das nicht nur für Schweizerinnen und Schweizer, sondern auch für alle EU-BürgerInnen in der Schweiz und für Berufstätige aus der EU.

Im Freizügigkeitsabkommen war akzeptiert, dass die Schweiz umfangreichere Kontrollen durchführt, solange dies die Arbeitnehmende nicht aufgrund ihrer Herkunft diskriminierte und auch für Schweizer Firmen galt und somit keine Firmen aus der EU diskriminiert wurden. Diese Logik muss auch weiterhin gelten. Es gab und gibt Kräfte in der Schweiz und in der EU, welche den sozialen Schutz einer Binnenmarktlogik unterordnen wollen. Ihnen waren die Flankierenden Massnahmen immer ein Dorn im Auge. Der SGB wird sich weiterhin gegen alle Versuche, den Lohnschutz zu verschlechtern, vehement wehren.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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