SGB und Unia haben heute gemeinsam mit 200 Vertretern von Betriebskommissionen einen offenen Brief an den Bundesrat überreicht, der einen besseren Schutz gegen gewerkschaftsfeindliche und undemokratische Kündigungen verlangt. Es darf nicht sein, dass Personalvertreter dafür bestraft werden, dass sie ihre rechtmässigen Aufgaben wahrnehmen. Dieser Brief wurde von 1234 Mitgliedern von Personalvertretungen unterzeichnet. Die Unterzeichneten fordern endlich einen wirksamen Schutz gegen missbräuchliche Kündigung und eine rechtliche Grundlage, damit missbräuchliche Entlassungen von Personalvertretungen aufgehoben werden können.
In der Schweiz kann gewerkschaftlichen Mandatsträger/innen wie etwa Mitgliedern von Betriebskommissionen einfach gekündigt werden. Und selbst wenn die Missbräuchlichkeit einer solchen undemokratischen Kündigung gerichtlich festgestellt wird, ist – im Unterschied zu den umliegenden Staaten - eine Wiedereinstellung der betroffenen Person nicht vorgeschrieben.
Dieser Skandal breche internationales Recht, hielt der Präsident der Schweizerischen Gewerkschaftsbundes Paul Rechsteiner an der heutigen Medienkonferenz fest. Dies sei die Schweiz mit der Unterzeichnung des IAO-Abkommen Nr. 98 eingegangen. Deshalb hat der SGB im Jahr 2003 die Schweiz bei der IAO verklagt. Obwohl der entsprechende Ausschuss der IAO die Schweiz gerügt hat, war der Bundesrat bis vor kurzem nicht zu einer Gesetzesänderung zu bewegen. Die Arbeitgeber wollen keinen verbesserten Schutz, und es gäbe nur wenig Fälle, so die Argumentation. „Wir wissen alleine 2009 von zahlreichen schwerwiegenden Fällen“ hielt der Unia-Copräsident Renzo Ambrosetti heute entgegen. „Demokratie und Sozialpartnerschaft darf nicht vor den Betriebstoren aufhören“, forderte er. Es sei daher dringend notwendig, dass der Bundesrat eine Lösung vorschlage.
In einem offenen Brief kritisieren nun Mitglieder von Betriebskommissionen und Personalvertreterinnen und –vertreter die zunehmende Zahl von gewerkschaftsfeindlichen Kündigungen und fordern vom Bundesrat Massnahmen. „Ich wurde entlassen, weil ich mich als Gewerkschaftsvertreterin in einer Zeitung gegen die Ausweitung von Ladenöffnungszeiten geäussert habe“, erklärte Marisa Pralong, Verkäuferin aus Genf. „Dabei habe ich nur von meinem demokratischen Recht Gebrauch gemacht.“ Ernst Gabathuler wurde nach jahrzehntelanger Arbeit als Betriebskommissionsmitglied und –präsident entlassen. Selbst der deutsche Mutterkonzern musste zugeben: In Deutschland wäre dies unmöglich. „Es ist empörend, dass aktive Gewerkschafter und Vertrauensleute im Betrieb keinen besonderen Kündigungsschutz geniessen, wenn sie sich für die Interessen der Arbeitnehmenden einsetzen und somit auch der Geschäftsleitung ab und zu auf die Füsse stehen müssen“, so Gabathuler.
In den vergangenen Monaten haben Vertreter der Gewerkschaften mit den zuständigen Bundesrätinnen, Frau Leuthard und Frau Widmer-Schlumpf, sowie deren Departemente, Gespräche geführt. Die bedeutende Zahl der neuen Fälle sowie die drohende erneute Verurteilung durch die IAO haben den Bundesrat bewogen, die Frage eines besseren Kündigungsschutzes im Rahmen der Whistleblow-Gesetzgebung endlich zu traktandieren. Neben Personen, die einen Missstand am Arbeitsplatz anzeigen, sollen neu auch gewerkschaftliche Verantwortungsträger/innen besser gegen missbräuchliche Kündigung geschützt werden. Die entsprechende Vernehmlassung wird aller Voraussicht nach Mitte dieses Jahres beginnen. Die Gewerkschaften haben Hand geboten, während dieser Zeit die Klage bei der IAO einzufrieren. Sollte dieser neue Weg keine entscheidende Besserung bringen – wobei Kernpunkt nach wie vor die Möglichkeit der Annullierung einer missbräuchlichen Kündigung der betroffenen Person ist - dann werden SGB und Unia die Klage bei der IAO weiter ziehen.
Angehängt Referate von:
- Paul Rechsteiner, Präsident des SGB
- Renzo Ambrosetti, Co-Präsident Unia
- Marisa Pralong, gekündigt bei Manor
- Ernst Gabathuler, gekündigt bei Karl Mayer AG
sowie eine Dokumentation der Fälle und den offenen Brief an den Bundesrat.