Aus dem Nationalrat droht ein gravierender Angriff auf die Mindestlöhne und die föderale Ordnung der Schweiz. Kantone sollen entmachtet, demokratische Entscheide ausgehebelt und Working Poor erneut in Kauf genommen werden. Das Parlament muss diesen verfassungswidrigen Angriff stoppen.
Mit der Umsetzung der Motion Ettlin hat das Parlament einen besonders schwerwiegenden Angriff auf die Löhne der Arbeitnehmenden gestartet – und gleichzeitig auf die Bundesverfassung, die Souveränität der Kantone und den Föderalismus. All das soll im Rahmen der Revision des Gesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) passieren,
Die Bundesverfassung erlaubt es den Kantonen ausdrücklich, aus sozialpolitischen Gründen Mindestlöhne einzuführen, um «Working Poor» zu verhindern – also Menschen, die trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Lohn leben können. Denn sonst müssen Staat, Kanton oder Gemeinde mit Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen einspringen. Das verletzt nicht nur die Würde der Betroffenen, sondern bedeutet auch eine unerhörte Subventionierung von Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf zu tiefen Löhnen basiert.
Ein Lohn muss zum Leben reichen – insbesondere in Hochpreis-Regionen. Steuerzahlende sollen nicht länger Unternehmen subventionieren, die Armutslöhne zahlen.
Demokratische Entscheide und die Bundesverfassung dürfen nicht ausgehebelt werden
Verschiedene Kantone und Städte (darunter Neuenburg, Genf, Zürich und Winterthur) haben diesen Missstand beendet und demokratisch legitimierte Mindestlöhne eingeführt, bestätigt durch Volks-Abstimmungen, Gesetze und das Bundesgericht.
Bereits im nationalen Abstimmungskampf 2013 über den Mindestlohn wurde von den Gegnern versprochen: Wenn es keinen nationalen Mindestlohn gibt, hätten wenigstens die Kantone die sozialpolitische Kompetenz, um «Working Poor» zu verhindern, durch den Erlass entsprechender kantonaler Mindestlöhne.
Nun erleben wir im Bundeshaus die Gefahr eines offenen Verfassungsbruchs: Gewisse Kreise wollen den Kantonen ihre Kompetenz entreissen – entgegen dem Willen der betroffenen Bevölkerung und gegen den Inhalt der Bundesverfassung. Mit einer einfachen Revision des Gesetzes zur Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) würde der verfassungsmässige Föderalismus und die Kompetenz der Kantone für sozialpolitische Mindestlöhne abgeschafft werden. Private könnten mit einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag zwingendes kantonales öffentliches Recht brechen.
Die Änderung des AVEG kommt im Juni zur Abstimmung in den Nationalrat. Das Parlament muss zur Vernunft kommen und diese Revision stoppen. Wird mit einem Verfassungsbruch die Kompetenz der Kantone abgeschafft, verbindliche Mindestlöhne einzuführen, die zum Leben reichen, wird der SGB sich mit allen notwendigen Mitteln dagegen wehren.