Gewitter in der GAV-Landschaft

  • Löhne und Vertragspolitik
  • Gewerkschaftsrechte
Artikel
Verfasst durch Ewald Ackermann

Bedrohung der GAV-Renaissance?

In den letzten Jahren haben die Gesamtarbeitsverträge (GAV) eine eigentliche Renaissance erlebt. Ende 2012 sieht es plötzlich bedrohlich aus. Die Herr-im-Haus-Mentalität gewisser Arbeitgeber nimmt wieder zu. Nur ein Gewitter? Eines gar mit reinigender Kraft?

Es ist unbestreitbar: In Sachen GAV hat in den letzten Jahren eine Trendwende stattgefunden. In den 90er Jahren hausierte der damalige Arbeitgeber-Präsident Guido Richterich mit dem Spruch „Der GAV ist ein Auslaufmodell“. Und dies mit einigem Erfolg: 1996 waren nur mehr 1 269 000 Arbeitnehmer/innen einem GAV unterstellt, ein historischer Tiefpunkt.

Renaissance des GAV

2009 zählte das Bundesamt für Statistik wieder 1,7 Mio. GAV-Unterstellte. Der Trend der 90er Jahre ist also gekehrt worden. Was sind die Gründe für die Renaissance des GAV?

Im tertiären Sektor wurden neue GAV abgeschlossen (Post, SBB und Swisscom nach Abschaffung des Beamtenstatus; Reinigung; private Sicherheit; regionale GAV im Detailhandel und in Teilen des Gesundheitswesens). Auf Beginn 2012 wurde nach langjährigen komplizierten Verhandlungen der „GAV-Personalverleih“, ein Jahr zuvor bereits der NAV (=Normalarbeitsvertrag) Hauswirtschaft in Kraft gesetzt. Beide Verträge gelten als „historisch“. Es hat sich also einiges getan. Die GAV bewähren sich wieder als Instrument, einigermassen faire und verbindliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. GAV haben nicht nur eine Geschichte sondern auch eine Zukunft.

Und plötzlich wieder geballt Angriffe

Auf den ersten Blick erstaunt deshalb, dass in einigen Branchen gerade jetzt wieder massive Angriffe gegen die Vertragspartnerschaft geritten werden.

-          Im Kt. Neuenburg soll das Spital La Providence verkauft werden, wobei der Käufer, die Genolier-Gruppe, den bestehenden GAV eliminieren und so auf dem Buckel der Angestellten sparen will. Seit dem 26. November streiken die Betroffenen gegen die drohende GAV-Beseitigung und so verursachte schlechtere Arbeitsbedingungen.

-          Die Westschweizer Verleger kündigten am 5. Dezember aus heiterem Himmel den Presse-GAV in der Romandie. In der Deutschschweiz und im Tessin ist das schon 8 Jahre vorher geschehen. Folge: die Arbeitsbedingungen der Journalist/innen, insbesondere der Freien, haben sich klar verschlechtert. Am 11. Dezember protestierten die betroffenen Journalist/innen an Demos in Lausanne, Genf, Freiburg, Neuenburg und Sitten.

-          In den Verhandlungen zu einem neuen Druck-GAV beharrt der Arbeitgeberverband Viscom auf höheren Arbeitszeiten und tieferen Nachtzulagen. Die Gewerkschaften sind nicht bereit, auf diesen Abbau einzutreten. Viscom erklärte am 11. Dezember die Verhandlungen für gescheitert und forderte die Vertragsfirmen auf, ab dem 1.1.2013, dem Beginn des vertragslosen Zustandes, seine Forderungen auf Betriebsebene einzuführen. Die Gewerkschaften werden mit Warnstreiks antworten. Im neuen Jahr entscheiden die betroffenen Syndicom-Mitglieder in einer Urabstimmung, ob sie auch härtere Kampf- und Streikmassnahmen ergreifen wollen.

Wer nicht hören will, muss…

Auch die jüngste Geschichte lehrt: Man kann den GAV resp. seinen Inhalt im offenen respektvollen Dialog bestimmen oder man kann ihn erkämpfen. Manchmal muss man ihn erkämpfen. Das war etwa im Bauhauptgewerbe in jüngster Zeit der Fall – während Unia gleichzeitig in neuen Bereichen erfolgreich am runden Tisch verhandelte. Das Gewitter, das im Moment die GAV-Landschaft bedroht, kann auch reinigende Kraft entfalten. Das wird dann der Fall sein, wenn die Arbeitgeber einsehen, dass Konfrontationskurs Konfrontation bewirkt – und dass die Gewerkschaften die Auseinandersetzung annehmen, wo die Arbeitgeber auf Kuschen spekulieren.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
Top