Gewerkschaften haben Zutrittsrechte in die Betriebe

  • Gewerkschaftsrechte
  • Arbeitsrechte
Artikel
Verfasst durch Luca Cirigliano

Klare ExpertInnen-Meinung an SGB-Tagung

An der hochkarätigen SGB-JuristInnen-Tagung, welche unter dem Titel „Informations- und Zutrittsrechte von Gewerkschaft am Arbeitsplatz“ am 27.06.14 in Bern stattfand, haben Juristinnen und Professoren aus dem In- und Ausland festgehalten, dass unter geltendem Recht Gewerkschaften das Recht haben, die Arbeitnehmenden an ihrem Arbeitsort zu besuchen und sie zu informieren. Sei das in Büros, Baustellen oder sonstigen Betriebsstätten. Dazu gehört auch und gerade der Zugang mit elektronischen Kommunikationsmittel wie Intranet. Gegen diese klare Rechtslage haben die Arbeitgeber keine Handhabe, auch wenn es (noch) nicht alle Gerichte gemerkt haben!

Anhand der Vorträge von prominenten ReferentInnen aus dem In- und Ausland konnten sich die rund 100 anwesenden ZuhörerInnen ein authentisches und korrektes Bild über die Zutritts- und Informationsrechte von Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am Arbeitsplatz machen.

Juristische Lage klar

Prof. Marcel Niggli, Ordinarius für Strafrecht an der Universität Freiburg und bekannter Herausgeber verschiedenster Standardwerke zum Strafrecht, präsentierte in seinem Vortrag die Resultate eines Gutachtens, welches er im Auftrag und mit Begleitung des SGB verfasst hat. Die Ergebnisse sind für uns Gewerkschaften äusserst wertvoll und völlig eindeutig: FunktionärInnen von Gewerkschaften haben das Recht, direkt in die Betriebe, die Arbeits- und Baustellen zu gehen und dort in Kontakt mit den Arbeitnehmenden zu treten. Beim Zutritt von Gewerkschaften in den Betrieben kann es sich konkret z.B. um Flyer-Verteilungen auf Firmenparkplätzen, Auflegen von Broschüren in Pausenräumen, Anbringen von Informationen an Pinnwänden oder das persönliche Gespräch auf dem Firmenareal handeln, aber auch um den Zugang zum Betriebs-Intranet z.B. für Mailversände oder Versand von Umfrage-Tools.

Niggli zeigt nun in seinem Gutachten, welches auf der SGB-Homepage abrufbar ist, dass gegen den physischen Zutritt der GewerkschafterInnen die Arbeitgeber KEIN Recht haben, Hausverbote auszusprechen oder einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB) an den Behörden stellen! Wenn die GewerkschafterInnen ein verhältnismässiges und die Betriebsabläufe nicht unnötig störendes Eintreten in den Arbeitsplatz vollziehen, hat vielmehr eine allfällige „Rache-Anzeige“ der Arbeitgeber selbst einen strafrechtlich relevanten Charakter. Wenn ein Arbeitgeber eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch gegen ihm nicht genehme GewerkschafterInnen ausspricht, ist dies als Nötigung zu betrachten! Hier hat der Staat eine strikte Neutralitätspflicht im Verhältnis von Gewerkschaften und Arbeitgeber und hat sich aus den Konflikten herauszuhalten.

Das Gutachten von Prof. Niggli stärkt den Gewerkschaften den Rücken: GewerkschafterInnen wahren beim Zutritt in den Betrieb berechtigte Interessen und haben Rechtfertigungsgründe aus gesetzeskonformer Handlung.

Weiter zeigt das Gutachten von Prof. Niggli die Problematik auf, wer überhaupt, z.B. in einer Grossbaustelle mit Generalunternehmer und Dutzenden von wechselnden Subakkordanten, berechtigt wäre, ein Hausverbot auszusprechen: Das wären in diesem Falle beim Zutritt in die Baracken die Bauarbeiter selbst und nicht die Vorgesetzten bzw. gar Generalunternehmer.

Zutritt im Recht verankert

Die Vorträge von Prof. Schefer (Ordinariums öffentliches Recht Universität Basel) und Prof. Pärli (Leiter Zentrum für Sozialrecht, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) haben komplementär zu den Ausführungen Nigglis aufgezeigt, dass die Zutritts- und Informationsrechte von Gewerkschaften bereits im heute gültigen Schweizer Recht eine legale Basis haben. Und zwar im Verfassungsrecht (Koalitionsfreiheit gemäss Art. 28 BV) und im Arbeitsrecht.

Prof. Schefer zeigte in seinem Referat, dass die Gewerkschaftsfreiheit, wie sie in Art. 28 BV garantiert wird, sogenannte „Drittwirkung“ entfaltet: d.h. dass die Koalitionsfreiheit nicht nur zwischen Staat und Gewerkschaften gilt, sondern auch im Verhältnis Arbeitgeber und Gewerkschaften. Arbeitgeber haben also die Pflicht, die Ausübung der Gewerkschaftsfreiheit nicht einzuschränken! Arbeitgeber haben hier also keine Möglichkeit, durch „Hausverbote“ die verfassungsmässigen Rechte gemäss Art. 28 BV ausser Kraft zu setzen. Auch aus Art. 28 BV leitet sich die von Prof. Niggli in seinem Gutachten erwähnte Neutralitätspflicht des Staates ab, welcher sich nicht durch den „Paragraphen“ des Hausfriedensbruchs  zum Handlager gewisser Arbeitgeber degradieren lassen darf.

Prof. Kurt Pärli zeigte weiter in seinem Vortrag mit einer Bestandsaufnahme und Analyse der Zutritts- und Informationsrechte, wie sie im Schweizer Arbeitsrecht und in den GAV festgehalten sind, dass das Arbeitsrecht heute bereits an verschiedenen Orten das Recht der Gewerkschaften festlegt, Zutritt zum Betrieb zu haben: Art. 15 des Mitwirkungsgesetz (MwG) gibt z.B. den Gewerkschaften ein direktes Klagerecht aus entsprechenden arbeitsrechtlichen Streitigkeiten. So auch Art. 58 Arbeitsgesetz (ArG), welcher der Gewerkschaft ein direktes Beschwerderecht gibt bei Nichteinhaltung von Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Bestimmungen am Arbeitsplatz. Und wo ein Klagerecht der Gewerkschaften steht, da hat auch die Gewerkschaft das Recht, den Betrieb zu betreten und Informationen und Beweise vor einer allfälligen Klage zu sammeln.

Fazit: Gewerkschaften bleiben am Ball und leisten Aufklärungsarbeit!

Die Resultate der juristischen Abklärung, wie sie an der Tagung präsentiert wurden, zeigen: GewerkschafterInnen haben unter geltendem Schweizer Recht Zutrittsrechte. Und zwar direkt aus Verfassungsrecht, so aus Koalitionsfreiheit gemäss Art. 28 BV. Und direkt aus Arbeitsrecht, so z.B. aus Art. 15 MwG und Art. 58 ArG. Diese Bestimmungen sollen in Zukunft vermehrt Niederschlag und Fixierung in den GAV finden. Dazu wird der SGB sich für eine GAV-Best-Practice für die Sozialpartner einsetzen.

Das Gutachten von Prof. Niggli zeigt auch weiter: Renitente Arbeitgeber haben keine juristische Handhabe, um sich kritische, missliebige GewerkschafterInnen durch Hausverbote und Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch vom Hals zu halten. Die meisten Behörden wissen das auch und treten nicht auf solche Anzeigen ein. Leider hat sich diese eigentlich klare rechtliche Grundlage noch nicht in allen Gerichten durchgesetzt. Deshalb wird der SGB weiter bemüht sein, diese Erkenntnisse aus der Tagung unter JuristInnen und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
Top