Im Zusammenhang mit der Verteidigung der Flankierenden Massnahmen (FlaM) erreichen den SGB Solidaritätsbotschaften des europäischen Gewerkschaftsbundes und zahlreicher nationaler Gewerkschaftsbünde und Gewerkschaften. Denn die Verteidigung der Löhne und Arbeitsbedingungen ist zentral für eine überlebensfähige, soziale EU.
Die bisherige Europapolitik der Schweiz basierte auf dem Prinzip, dass sie den Menschen nützen soll, egal welchen Pass sie besitzen. Das galt besonders für den bilateralen Weg. Entsprechend forderte der SGB gemeinsam mit den europäischen Schwesterorganisationen und dem Europäischen Gewerkschaftsbund erfolgreich: Löhne und Arbeitsbedingungen schützen, nicht die Grenzen!
Europa muss sozialer werden
Leider haben in den letzten Jahren die Interessen der Arbeitnehmenden in den Gremien der EU nicht immer Priorität besessen. Im Gegenteil: die von der EU seit 2008 vielen Ländern verordnete Austeritätspolitik und verpasste Chancen im Arbeitnehmerschutz haben viele EU-BürgerInnen in die Arme rechtsnationaler Populisten getrieben und "europamüde" gemacht.
Dabei waren noch bis in die 1990er Jahre die EU-Rechtssetzung und Rechtssprechung sozial ausgerichtet. Die Entsenderichtlinie stellte die Nicht-Diskriminierung der Arbeitnehmenden ins Zentrum und ihr Recht, anständig und fair entlöhnt und behandelt zu werden. Erst in diesem Jahrhundert begannen der Europäische Gerichtshof und die EU-Kommission, die Interessen der Unternehmen über diejenigen der Arbeitnehmenden zu stellen. Plötzlich wurden EU-Recht und Rechtssprechung ein Mittel, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern statt zu verbessern. Dies äusserte sich besonders in klar antigewerkschaftlichen bzw. gegen den staatlichen Lohnschutz gerichteten Urteilen. Sie und die neuen Regeln öffneten den Weg für Lohndumping und erschwerten Hochlohn-Ländern die Möglichkeit, strengere Schutzmassnahmen einzuführen.
Die wohl dramatischste Folge dieser politischen Fehler ist der Brexit: der Austritt Grossbritanniens aus der EU wurde vor allem deshalb angenommen, weil britische Arbeitnehmende um ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen fürchteten, da die Regierung aus ideologischen Gründen keine flankierenden Massnahmen zum Schutz von Löhnen und Arbeitsbedingungen getroffen hatte. Heute ist Lohndumping sogar in Ländern wie Tschechien, Polen oder Ungarn zum Wahlkampfthema geworden, das rechtsnationale Parteien bedienen.
Es braucht bessere Flankierende Massnahmen, nicht schlechtere
In der Schweiz wurde hingegen der Lohnschutz bisher kontinuierlich verbessert, weil allen klar war, dass ohne ihn in unserem Hochlohnland die Arbeitsbedingungen und das soziale Gefüge gefährdet wären und die Zustimmung zum bilateralen Weg bröckeln würde. Leider haben sich nun die FDP-Bundesräte und ihre Entourage aus diesem Konsens verabschiedet. Sie übernehmen die Logik der Neoliberalen und wollen den Arbeitnehmerschutz, also die FlaM, schleifen.
Vor diesem Hintergrund versuchen gewisse Teile der EU-Kommission sowie Gewerbetreibende besonders aus dem süddeutschen Raum, in der Diskussion um ein mögliches Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU den Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping in Frage zu stellen. Dieselben Kräfte versuchen gleichzeitig alles, um in der EU verbindliche soziale Standards und den Schutz der Arbeitnehmenden zu verhindern.
Dieser Schutz ist zwar in der Schweiz immer noch effektiver, doch hat auch in Brüssel langsam ein Umdenken stattgefunden. Auf Druck der europäischen Gewerkschaften leitete die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker eine noch zögerliche Kurskorrektur zu einem sozialeren Europa ein. Dies zeigte sich bereits bei der neuen Richtlinie zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie 2014 und nun insbesondere an der Mitte dieses Jahres revidierten Entsenderichtlinie. Sie sind - zusammen mit den anderen Vorstössen im Rahmen der EU-Initiative für eine "Säule der sozialen Rechte" - zu begrüssen. Es ist aber noch völlig offen, wie die bis in zwei Jahren anstehende konkrete Umsetzung in den EU-Ländern aussehen und ob sie vor dem EuGH standhalten wird. Denn dieser entscheidet im Einzelfall, wie der abstrakte Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit im gleichen Land" umgesetzt werden darf und zeigte sich bisher streng, was die "Verhältnismässigkeit" von Lohnschutzmassnahmen betrifft.
Die europäischen Gewerkschaften setzen auf die Schweiz
Wer aber heute behauptet, der Lohnschutz in der EU sei demjenigen in der Schweiz rechtlich ebenbürtig, versteht nichts von der Materie. Und wer dies ohne oder wider besseres Wissen weiterverbreitet, stellt sich willentlich oder unwillentlich gegen die progressiven europäischen Kräfte und insbesondere gegen die europäische Gewerkschaftsbewegung. Es ist kein Zufall, dass die europäischen Gewerkschaften ihre Schweizer Schwesterorganisationen dazu auffordern, in Sachen FlaM hart zu bleiben - zum Wohl der Arbeitnehmenden.
Denn die neue Durchsetzungsrichtlinie und die revidierte Entsenderichtlinie wurden gegen harten Widerstand vom EGB und progressiven Kräften im EU-Parlament erkämpft. Sie stellen das Maximum dessen dar, was politisch möglich war. Sollten wie erwartet die progressiven Kräfte in der Europawahl 2019 an Stärke verlieren, könnten es soziale Reformprojekte im Interesse der Menschen und Arbeitnehmenden in Zukunft noch schwerer haben.
Deshalb fordern der EGB und besonders Gewerkschaften aus Osteuropa, wo Arbeitnehmende häufig Opfer von Sozial- und Lohndumping werden, dass der SGB im Ringen um die FlaM hart bleibt. Der SGB hat Solidaritätsschreiben der Gewerkschaftsbünde Bulgariens, Rumäniens, aber auch Polens und Ungarns erhalten, in denen sie dem SGB ihre Unterstützung im Kampf um die FlaM mitteilen und ihn auffordern, gegenüber den Binnennmarkt-Turbos in der EU-Kommisison standhaft zu bleiben. Denn eine Abschwächung des Lohnschutzes in der Schweiz wäre ein katastrophales Signal für die fortschrittlichen, gewerkschaftlichen Kräfte in Europa. Für sie war die Revision der Entsenderichtlinie nur ein erster Schritt in die richtige Richtung: zu einem sozialen Europa, das gleiche, gerechte Löhne für alle Arbeitnehmenden in der EU garantiert.