4. November 2002: Landesweiter Baustreik. Die allermeisten Baustellen des Landes stehen still, nur von Trübe und Kälte durchweht. - 12. November 2002: Die Gewerkschaften GBI und Syna sowie der Baumeisterverband unterzeichnen den GAV FAR (flexibler Altersrücktritt im Baugewerbe). Das Ereignis des 12. ist das Ergebnis der Aktionen des 4. Novembers. Der 4. November war Abschluss und Höhepunkt des Kampfes der Bauarbeiter und ihrer Gewerkschaft GBI für die Einführung des vorzeitigen Altersrücktritts. Mit diesem Streik brach die patronale Verweigerung zusammen. Es war ein gewerkschaftlicher Jahrhunderterfolg – und ein bitter nötiger sozialer Fortschritt, denn die Bauarbeiter gehören zu den Berufskategorien mit der niedrigsten Lebenserwartung.
Heute „Erfolgsgeschichte“
Zeitsprung: 12.11.2010. Daniel Schlatter, Geschäftsführer der „Stiftung FAR“, zieht an einer Fachtagung und Informationsbörse über den frühzeitigen Altersrücktritt folgendes Fazit seines Vortrags: „Der flexible Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe ist eine Erfolgsgeschichte“. Nicht nur die Gewerkschafter klatschen ihm zu. Auch jene Arbeitgeber, die sich so lange und so rüde gegen die vorzeitige Pensionierung gewehrt hatten, sind nun überzeugt, man habe da eine gute Sache zusammengebracht. So können sich die Zeiten ändern.
An dieser Fachtagung werden vier Branchenvereinbarungen zum vorzeitigen Altersrücktritt präsentiert. Neben dem FAR im Bauhauptgewerbe, dem weitaus grössten, auch der RESOR[1] (Ausbaugewerbe Westschweiz und Tessin), das VRM (Dach und Wand) und der RAMB (Metallbaugewerbe GE). Die jüngste dieser Vereinbarungen ist das VRM, es wurde 2008 vereinbart – im Januar 2011 werden die ersten Arbeitnehmenden profitieren können. Die drei anderen Modelle sind in den Jahren 03 und 04 eingeführt worden.
Wer was bekommt und wie viel dafür bezahlt
Die folgende Tabelle zeigt, dass sich die Vereinbarungen, die zumeist allgemeinverbindlich erklärt sind (d.h.: für die ganze Branche gelten, also auch für die Betriebe, die nicht den entsprechenden Arbeitgeberverbänden angeschlossen sind), in ihren Bestimmungen hinsichtlich Anspruchsberechtigung, Leistungshöhe und Finanzierung jeweils sehr ähnlich sind.
Tabelle: Übersicht Anspruchsberechtigte/Leistungen/Beiträge
Vertrag/Renten bisher | Wer ab wann[2]? | Leistungen | Beiträge |
FAR 8562 total, davon 4658 laufend | Ab 60 | Jahresrente von 65 % des durchschnittlichen Lohnes + 6000.-; jedoch maximal 80 % des letzten Arbeitsjahres oder max. 2,4 x maximale einfache AHV-Rente | AG: 4 % AN: 1,3 % |
RESOR 273 aktuell | Ab 62 | 75 % des durchschnittl. Lohnes der letzten 3 Jahre, aber min. 3800.-, max. 4800.-; Übernahme BVG-Beiträge (aber nicht AHV) | AG und AN: je 0.9 % |
RAMB 2009: 25 | Ab 62 | Max 4750.- + max. 180.- für AHV-Beiträge und 11 % des Monatslohns für BVG-Beträge
| AG und AN: je 1 % |
VRM Erst ab Jan. 2011 | Ab 63 (60) | 70 % des Ausfalls (auch AZ-reduktion möglich); bereits ab 60 möglich, dann aber Kompensation von: 60: 27,5 % 61: 35 % 62: 47,5 % | AG: 0.95 % AN: 0,65% |
Andere Modelle
Im Bereich der Gewerkschaft Unia zählt man im Moment an die 20 kollektiver Branchen-GAV für eine vorzeitige Pensionierung. Zumeist folgen diese Verträge obigem Muster. Zu nennen sind etwa: Marmor und Granit, Holcim, Autogewerbe Kt. VS und einzelne Firmenverträge. Weitere zumeist kantonale Verträge sind RESOR nachgestaltet. In der Uhrenindustrie ist 2007 vereinbart worden, dass 1 Jahr vor dem AHV-Alter eine Frühpensionierung möglich ist. Wer diese beansprucht, hat einen Anspruch auf eine maximale Leistung von 24 000.-/Jahr.
Zwischenfazit
Die Zahl der Abschlüsse ist beachtlich, der Sinneswandel der Arbeitgeber ebenso. Abgesehen vom FAR sind jenseits des medialen Scheinwerfers Vereinbarungen getroffen worden, die für die Betroffenen eine wesentliche Steigerung von Lebensqualität bedeuten. Die entsprechenden Fonds stehen finanziell zudem alle auf solidem Fundament. Das Modell hat Zukunft - weitere Branchen dürften folgen.
[1] RESOR = Caisse de retraite anticipée de second oeuvre romand; VRM = Vorruhestandsmodell Dach- und Wandgewerbe; RAMB = retraite anticipée Métallurgie/Bâtiment Genève
[2] Zu den Voraussetzungen gehört überall eine definierte vorgängige Verweildauer im unterstellten Bereich. Zumeist sind es 20 Jahre, wovon die letzten (7 oder 10 je nach Vereinbarung) ununterbrochen resp. höchstens durch 2 Jahre Arbeitslosigkeit durchbrochen sein können. Fehlende Jahre führen oft zu entsprechenden Leistungskürzungen.