Es darf keinen Freipass wider alle sozialen Verpflichtungen geben

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Verfasst durch Doris Bianchi, SGB-Zentralsekretärin

Wer eine konkursite Firma erwirbt, übernimmt automatisch die verbleibenden Arbeit-nehmenden, die bestehenden Arbeitsverträge und die vor dem Übergang fällig gewordenen Forderungen der Arbeitnehmenden. Damit soll jetzt grösstenteils Schluss sein, wenn es nach dem Willen des EJPD ginge. Der SGB opponiert dieser Revision entschieden.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) will das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) revidieren. Die Vorschläge zielen insbesondere auf das Sa­nierungsverfahren ab. Die Revision betrifft jedoch auch das Arbeitsvertragsrecht.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ist befremdet, dass in der derzeitigen tiefgreifenden wirtschaftlichen Rezession ein Revisionsvorhaben an die Hand genommen wird, das die Arbeitnehmerinteressen massiv missachtet. Bereits die geltenden Vor­schriften schützen die Arbeitnehmenden nur ungenügend, falls ihr Arbeitgeber insolvent wird. So fehlt etwa die Sozialplanpflicht bei Massenentlassungen. Anders als die anderen Gläubiger sind die Arbeitnehmenden von Krise und Insolvenz ihres Arbeitgebers gleich doppelt betroffen: Zum einen ist ihnen als Gläubiger ihr rückständiger und zukünftiger Lohn gefährdet. Zum anderen droht der Verlust ihrer Arbeitsplätze. Dabei steht das wirt­schaftliche Auskommen auf dem Spiel. Letzterem Aspekt wurde bei der Ausarbeitung der Vorlage viel zu wenig Beachtung geschenkt. 

Ansprüche einfach ausradiert 

Der SGB lehnt die Vorlage ab. Denn die Vorschläge zielen auf die Schwächung der Ar­beitnehmerpositionen ab. Laut Vorentwurf soll der automatische Übergang von Arbeits­verträgen bei Betriebsübernahme während der Nachlassstundung, im Rahmen eines Kon­kurses oder eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung ausgeschlossen werden. Wer eine konkursite Firma erwirbt, müsste somit die verbleibenden Mitarbeitenden nicht mehr übernehmen. Er könnte auch die Arbeitsbedingungen unverzüglich ändern. Ebenso soll die solidarische Haftung des bisherigen Arbeitgebers und des Erwerbers für die For­derungen der Arbeitnehmenden, die vor dem Übergang fällig geworden sind, wegfallen. Der Erwerber müsste einzig für die Forderungen der übernommenen Arbeitnehmenden haften. Zudem sollen bei Sanierungen die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmenden ein­geschränkt werden. Fazit: Diese Änderungen ermöglichten dem Neu-Erwerber eine wahre Ausradierung der erworbenen Ansprüche der Arbeitnehmenden. 

Rein ideologische Absicht

Wie aber kommt das EJPD auf solche Vorschläge? Es „argumentiert“ damit, dass der automatische Übergang der Arbeitsverhältnisse Sanierungen behindere. Nur: die Be­hauptung, dass die Anwendung der bisherigen Bestimmungen (Art. 333 OR) Sanierungen erschwere oder gar verunmögliche, ist nicht einmal ansatzweise empirisch belegt. Hinge­gen ist das Ziel klar: Die Freiheit der Unternehmen soll stärker gewichtet werden. Sanie­rungen, die nur möglich sind, wenn vergangene Arbeitnehmerforderungen nicht bezahlt werden müssen, sind aber auch volkswirtschaftlich sehr problematisch. Denn sie belasten mittels Insolvenzentschädigung übermässig die Arbeitslosenversicherung und führen häu­fig zu erneuten Sanierungsfällen. Es ist stossend, wenn der Gesetzgeber solche wackeli­gen Sanierungen auch noch begünstigt.

Im Übrigen bietet das flexible schweizerische Arbeitsvertragsrecht genügend Möglich­keiten für Anpassungen der Arbeitsverhältnisse beim Wechsel des Arbeitgebers. Die Pra­xis zeigt zudem, dass bei Betriebsübergängen Vereinbarungen zwischen altem und neuem Arbeitgeber sowie den Sozialpartnern durchaus üblich sind. Die Förderung von sozial­partnerschaftlichen Vereinbarungen ist denn auch der einzige konstruktive Lösungsan­satz, um Sanierungen zu begünstigen.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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