Erinnerung an morgen

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Artikel
Verfasst durch Hubert Schaller

Der literarische Beitrag zum 1. Mai 2011

Die Autobahnen wurden gebaut.
Die Minarette werden verboten.
Die Zeitungen werden gefüllt:
der neueste Bankenskandal,
die neueste Frischhaltefolie,
der neueste Präsident,
der täglich verkündete Fortschritt
im Kreis.
 
Die Frager werden noch immer mit den alten Lügen gespeist.
Die Politiker jonglieren mit Stimmprozenten.
Die Atomunfälle werden haargenau registriert.
Der Wetterbericht hält, was er verspricht.

Die Gewerkschaften feilschen um Lohnprozente.
Die Globalisierungsgegner wandern ins Gefängnis.
Der Papst reist nach Hollywood. 
Die Asylanten werden nach Hause geschickt.
Die Opposition taktiert mit dem Gegner.

Worauf warten wir noch,
wo die wunderbare Bonusvermehrung zu Tische lockt,
wo der Albisgüetlipatriotismus ins Kraut schiesst 
und die Langeweile aus den Mundwinkeln schäumt,
wo das Familienglück wie Honig aus der Glotzkiste träufelt,
und die kleinen Reichen mit den grossen Reichen solidarisch sind.

Wer redet denn ununterbrochen von Unzufriedenen,
wo doch alle mit rotbäckigem Optimismus zur Urne pilgern
und unerschütterlich daran festhalten,
dass wir ein aussereuropäisches Volk Gottes sind.

Wem geht es denn besser als uns,
die wir mit Fleiss und Geduld den Wohlstand mehren 
und Wälle errichten gegen den Blick der Neider.

Und wenn eine neue Wirtschaftskrise ausbricht
und wenn der vorletzte Arbeiter die Kündigung erhält
und wenn kein Stein auf dem anderen bleibt,
unverbrüchlich und fest 
spüren wir unter den Füssen
den sicheren Felsen 
der Hochfinanz.

 

Hubert Schaller, geb. 1955, Gymnasiallehrer und Lyriker, lebt in Alterswil (FR). 1984 hat er den Freiburger Literaturpreis gewonnen. Bisherige Veröffentlichungen: Trommelfellschläge (Gedichte, 1985). Drùm (Gedichte, 2005). Regelmässige Kolumnen und Essays in diversen Zeitungen und Zeitschriften. 

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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Daniel Lampart
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