Den Start der Proteste bot ein Neubauvorhaben der Öl-Raffinerie in North Killingholme (Lindsey Oil Refinery). Die Inhaberin der Anlage, der Treibstoffproduzent Total, vergab den Auftrag nach einer Ausschreibung an eine italienische Baufirma. Diese hat vor, den Bau mit 300 italienischen und portugiesischen Arbeitskräften auszuführen.
Die Stammbelegschaft der Raffinerie begann am 28. Januar ihre Protestaktionen mit einem Schlagwort, das vor eineinhalb Jahren der - damals gerade ins Amt gekommene - Premierminister Brown im Munde geführt hatte. „Britische Jobs für britische Arbeiter", hatte Brown auf dem ersten Labour-Jahresparteitag ausgerufen. Die Streikenden fordern, dass die Bauarbeiten von einheimischen Arbeitnehmenden ausgeführt werden müssen. Es gebe genügend qualifizierte Arbeitskräfte vor Ort, die auf Arbeit angewiesen seien. Die wilden Streiks weiteten sich auf rund 20 andere Raffinerien und Kraftwerke aus, in denen Tätigkeiten ebenfalls an ausländische Firmen vergeben werden; 3000 Arbeitnehmer streikten.
Nach Verhandlungen mit den Gewerkschaften Unite und GMB (Britain's General Union) wurde der Streik der Lindsey Oil Refinery am 4. Februar beendet. Die Streikenden stimmten einer Vereinbarung zu, welche nebst der Entsendung der italienischen Arbeitnehmenden die Schaffung von zusätzlichen 100 Stellen für einheimische Arbeitnehmende beinhaltet. Weitere Streiks und Protestaktionen sind jedoch landesweit angekündigt.
Entsendung ohne flankierende Massnahmen
Die Proteste richten sich gegen die in Grossbritannien verbreitete private oder öffentliche Vergabe von Grossaufträgen an ausländische Firmen und die Entsendung von ausländischen Arbeitnehmenden. Der anfängliche Slogan „British Jobs for British people“ wurde von den Gewerkschaften entschärft und in „Fair access to jobs“ umgewandelt. Anders als in der Schweiz, wo sich die Gewerkschaften für die Einhaltung der ortsüblichen schweizerischen Arbeitsbedingungen auch bei Entsendungen einsetzen, fokussieren sich die britischen Gewerkschaften auf die Reduktion der Entsendungen. Kern des Problems ist jedoch auch in Grossbritannien das Lohn- und Sozialdumping, das von Entsendungen ausgeht.
Der Grund des Streiks der Lindsey Oil Refinery liegt letztlich bei den schlechteren Arbeitsbedingungen, welche bei der italienischen Baufirma vorherrschen. Obschon der Total-Konzern als Auftraggeber auch von seinen Sub-Unternehmen die Einhaltung des am Arbeitsort geltenden einschlägigen Gesamtarbeitsvertrages vertraglich verlangt, zeigen die Nachforschungen der Gewerkschaften, dass die italienische Baufirma sich nicht an den GAV hielt. Zum einen lag keine Transparenz bezüglich ausbezahlter Löhne vor, zum anderen unterschritt die italienische Firma bei den Arbeitszeiten, Pausenregelungen und Entschädigungen das Schutzniveau des GAV. Die Umgehung des am Arbeitsort geltenden GAV erfolgte im Einklang mit dem Gesetz. Nicht allgemeinverbindlich erklärte GAV - wie im Fall der Lindsey Oil Refinery - müssen bei Entsendung laut der EU-Entsenderichtlinie und der Rechtsprechung nicht zwingend eingehalten werden. Da Grossbritannien auch kein Kontrollsystem bei Entsendungen kennt, beruht jede Überprüfung der Arbeitsbedingungen der entsandten Arbeitnehmenden auf Beobachtungen, Aussagen oder Vermutungen. Eine Situation, welche zur Ohnmacht der Gewerkschaften beiträgt und das Klima aufheizt.
Rechtsaussen wittert Morgenluft
Die Streiks erfolgten wild, wurden aber häufig von Vertrauensleuten der Gewerkschaften initiiert bzw. mitgetragen. Die gewerkschaftsfeindlichen Regulierungen aus der Thatcher-Ära - die immer noch in Kraft sind - verbieten es den Gewerkschaften, solche spontane Streikbewegungen zu unterstützen. Die Gewerkschaften mussten die Rolle der Mediatoren übernehmen und Vereinbarungen über die Streitbeilegung aushandeln. Gleichzeitig versuchte die Gewerkschaft Unite, die nationalistischen Töne der Streikbewegung einzudämmen. Denn dank dem Slogan „British jobs for British people“ war auch bald die rechtsextreme British National Party (BNP) zur Stelle. Die BNP versucht die Streikbewegung auf ihre Seite zu ziehen, was ihr teilweise auch gelingt. Die viel beachtete Internetplattform der Supporter www.britishwildcats.com wird von der BNP unterstützt.
Die linken Kleinparteien sind in dieser Frage gespalten. Einige unterstützen die Streiks, andere verurteilen diese als rassistische Bewegungen.
Die regierende Labour Partei hat anfangs noch Verständnis für die Anliegen der Streikenden gezeigt. Sie hat sich aber im Verlauf der Protestaktionen scharf dagegen geäussert. Wirtschaftsminister Peter Mandelson beklagte, dass die Streikenden Rassenhass schürten. Gordon Brown bezeichnete die wilden Streiks als ungerechtfertigt und kontraproduktiv. Diese Äusserungen - befürchten die Gewerkschaften - führten dazu, dass sich die britische Arbeiterklasse noch stärker von der Labour Partei ab- und der BNP zuwende.
Gewerkschaften reagieren
Die Gewerkschaft Unite hat einen Drei-Punkte-Plan ausgearbeitet, wie die Eskalation behoben werden kann:
- Es braucht Vereinbarungen, welche den einheimischen Arbeitnehmenden Zugang zu Jobs bei Vergabe an ausländische Firmen garantieren.
- Nötig sind vertiefende Untersuchungen über die Vergabepraxis. Bei öffentlichen Vergaben ist die öffentliche Hand verpflichtet, Sozialstandards einzuhalten.
- Die europäische Rechtsprechung, welche das Sozial- und Lohndumping begünstigt, muss rückgängig gemacht werden.
Zum Letzteren hat Unite eine Kampagne lanciert, die eine Petition einschliesst.
Unklar ist, wie die Gewerkschaft ihren Slogan „Fair Access to jobs“ umsetzen will. Letztlich kann diese Forderung nur umgesetzt werden, wenn für einheimische wie für entsandte Arbeitnehmende die gleichen Arbeitsbedingungen des Leistungsortes gelten. Denn für einheimische Arbeitnehmende wäre eine Anstellung nach den Arbeitsbedingungen des Herkunftslandes der Entsandten kaum ein „Fair Access“. Die Frage, wer Zugang zu Arbeit hat, darf nicht im Vordergrund stehen - denn damit ist Fremdenfeindlichkeit vorprogrammiert. Die Frage muss lauten: Zu welchen Bedingungen soll der Zugang zur Arbeit garantiert sein.
Diese Logik haben die schweizerischen Gewerkschaften bei der Ausarbeitung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit verfolgt. Sie sind mit ihr, einem eigentlichen politischen Exportgut, gut gefahren.