«Ein Rahmenabkommen muss den Arbeitnehmenden nützen»

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
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Interview mit SGB-Chefökonom Daniel Lampart: «Die Gewerkschaften wollen ein soziales Europa!»

Ja zu einem sozialen Europa, nein zu Verschlechterungen beim Lohnschutz und den flankierenden Massnahmen. Für SGB-Sekretariatsleiter und Chefökonom Daniel Lampart ist in der Position zur EU vor allem eines wichtig: Die Europapolitik muss den Arbeitnehmenden nützen.

Interview: Matthias Preisser und Thomas Zimmermann

 

Daniel Lampart, Linke werfen dem SGB vor, er fahre das Rahmenabkommen und damit die Bilateralen Abkommen mit der EU an die Wand. Haben die Gewerkschaften neu etwas gegen die EU?

Daniel Lampart: Ein relativ kleines Land wie die Schweiz mitten in Europa braucht gute und geregelte Beziehungen zur EU. Deshalb haben wir uns immer für eine Öffnung gegenüber Europa und die Personenfreizügigkeit eingesetzt, aber auch immer gesagt, dass dies den Arbeitnehmenden nützen muss. Dank uns gibt es Lohnschutz und flankierende Massnahmen, und wir sind stolz, dass die Schweizer Flankierenden zu den besten in Europa gehören. Nun verfolgt Bundesrat Ignazio Cassis zum ersten Mal eine Europapolitik, welche die europäische Integration gegen die Arbeitnehmenden wenden will. Das geht in die völlig falsche Richtung. Die Europapolitik muss den Arbeitnehmenden nützen, und der Lohnschutz muss verbessert, sicher nicht verschlechtert werden.

Könnte es Ihnen nicht egal sein, wieviel ein Entsandter verdient, solange die Regeln in seinem Herkunftsland eingehalten werden, und er nach seinem Einsatz zurückkehrt?

Daniel Lampart: Das ist ein wichtiger Punkt. Die Personenfreizügigkeit brachte grosse Fortschritte, zum Beispiel die Abschaffung des Saisonnierstatuts. Das Verschwinden dieser prekären Arbeitsform war eine Verbesserung für alle. Aber mit den Entsendungen wurde eine neue prekäre Arbeitsform angelegt. Ausländische Firmen aus dem Gewerbe, der Sicherheitsbranche oder der Informatik können viel einfacher in die Schweiz kommen, um ihre Dienstleistungen zu erbringen. Im deutschen Gewerbe ist der Durchschnittslohn bei rund 3700 Franken, in Polen sogar bei 900 Franken. Wir hingegen haben die höchsten Löhne in Europa, einen Handwerkerlohn von 5000 bis 6000 Franken. Hier sind die flankierenden Massnahmen entscheidend: Wenn es so weit kommt, dass deutsche oder polnische Löhne in der Schweiz im gewerblichen Bereich Normalzustand werden, kommen die Löhne fundamental unter Druck, die Arbeitslosigkeit steigt, korrekte Firmen verlieren Marktanteile. Unsere gelernten Maler oder Schreiner müssten plötzlich zur Sozialhilfe, die ganze Berufsbildung würde erodieren – das wäre katastrophal!

Die EU hat beim Lohnschutz Fortschritte gemacht und anerkennt das Prinzip des ortsüblichen Lohns. Weshalb wollen Sie diese Richtlinien partout nicht übernehmen?

Daniel Lampart: Wir kämpfen für ein soziales Europa, für faire Löhne, damit die Arbeitgeber die Arbeitnehmenden nicht gegeneinander ausspielen können. Zahlreiche europäische Gewerkschaften, unsere Schwesterorganisationen und der europäische Gewerkschaftsbund fordern uns auf, nicht nachzugeben. Die Schweizer GAV müssen sich im europäischen Vergleich nicht verstecken, aber wir müssen sie durchsetzen. Wir machen am meisten Kontrollen in ganz Europa, weil wir auch die höchsten Löhne haben. Unser Kontrollsystem mit den paritätischen Kommissionen ist einmalig in Europa. Doch der Druck der deutschen Handwerksfirmen und der EU-Kommission ist gross, weniger Kontrollen zu machen, weniger Bussen zu verteilen. Hier hat unserer Ansicht nach Bundesrat Cassis bewusst irreführende Informationen verbreitet, indem er kolportiert hat, es gehe nur um die 8-Tage-Voranmeldefrist. Es geht um viel mehr, nämlich darum, ob wir in der Schweiz unsere Gesamtarbeitsverträge samt Kontrollen und Bussen gefährden, indem wir den europäischen Gerichtshof über die FlaM urteilen und die EU-Kommission mitreden lassen – Organisationen, die sich oft auf die Seite der Firmen schlagen. Für sie ist Marktzugang wichtiger als Lohnschutz. Das würde jenen helfen, denen die FlaM-noch nie passten: Christoph Blocher und seiner Tochter, Avenir Suisse, Economiesuisse.


Heute stehen aber Gewerkschafter zum Beispiel in der „Arena“ neben Christoph Blocher – ist das nicht gefährlich, wenn man sich de facto mit der isolationistischen SVP verbündet?

Daniel Lampart: In der Sache gibt es zwischen dem Wirtschaftsflügel der SVP und uns grosse Differenzen. Alt Bundesrat Christoph Blocher ist ein Antigewerkschafter. Er und seine Tochter haben die Flankierenden heftig angegriffen. Weil sie keinen Lohnschutz wollen. Sie sind Arbeitgebervertreter der härteren Sorte, mit denen wir nichts zu tun haben. Aber wir sind keine Partei: Wir haben SVP-Mitglieder in unseren Reihen, mit denen wir bestens zusammenarbeiten.

Wie können sie auch medial so wahrgenommen werden, statt im Schatten der SVP segeln?

Daniel Lampart: Wir stehen nicht im Schatten der SVP. Die Gewerkschaften haben gesagt: Lohnschutz ist das Entscheidende für Europa, darüber wurde berichtet. Doch auch die millionenschweren Zürcher Verleger, Ringier und die Familie Coninx sind Lohndrücker, sie wollen nicht einmal einen GAV. Und nun schreiben sie gegen uns an. Zum Glück gibt es die Gewerkschaftspresse.

Letzten Sommer sagten die Gewerkschaften: Verhandelt wird nicht. Viele interpretieren das als Gesprächsverweigerung. Wie kommen wir aus dieser Sackgasse?

Daniel Lampart: Es ist keine Sackgasse. Die Bundesräte Cassis und Johann Schneider-Ammann haben sich über die rote Linie des Bundesrats hinweggesetzt, dass über die flankierenden Massnahmen nicht verhandelt werden darf. Wir reden gerne mit allen, diskutieren aber nicht über einen Abbau der FlaM. Wir vertreten Menschen, die heute schon Mühe haben, mit dem Lohn über die Runden zu kommen. Ich wurde immer wieder von Leuten angesprochen, die uns unterstützen und sagten: Knickt ja nicht ein, bleibt standhaft. Das war teilweise sehr berührend.

Ohne Rahmenabkommen droht die EU mit Vergeltungsmassnahmen. Wird es dann nicht schwierig?

Daniel Lampart: Wir haben gezeigt, dass wir Druck aushalten können. Der schlimmste Druck kam ja aus dem Inland, von den beiden FDP-Bundesräten, von Staatssekretär Roberto Balzaretti, von der FDP, von allen Gegnern der Flankierenden. Wir haben das ausgehalten, und die Basis hat unsere Position bekräftigt. Vielleicht kommt nun von der EU-Kommission noch Druck bei der Börsenäquivalenz und beim Marktzugang für Medizinaltechnik. Doch die Probleme sind lösbar. Und auf jeden Fall kein Grund, beim Lohnschutz einzuknicken.

Die Gewerkschaften wollen ein soziales Europa, eine offene Schweiz. Müsste sie sich nun nicht bewegen um einen Kompromiss zu finden?

Daniel Lampart: Wir kämpfen für gute Löhne, sichere Arbeitsplätze, hervorragende soziale Absicherung. In der Schweiz und in Europa. Deshalb waren wir für die bilateralen Verträge in Verbindung mit den Flankierenden. Doch wenn europapolitische Ziele verfolgt werden, die den Arbeitnehmenden schaden oder Verschlechterungen bringen, lehnen wir das ab.


Die Hearings haben stattgefunden, was muss der Bundesrat nun tun?

Daniel Lampart: Er muss an seinem Verhandlungsmandat festhalten: Keine Verhandlungen über unseren Lohnschutz. Aber Bundesrat Cassis und Staatssekretär Balzaretti sind als Verhandler nicht mehr tragbar. Der Bundesrat wird der EU mitteilen müssen, dass ein Rahmenabkommen à la Cassis nicht funktioniert und überlegen müssen, wie und mit wem er weiterarbeitet. Gleichzeitig will er die SVP-Kündigungsinitiative behandeln. Diese lehnen wir klar ab, sie schadet den Arbeitnehmenden und gefährdet den bilateralen Weg. Der Bundesrat soll nun den Fokus auf die Bekämpfung der Kündigungsinitiative legen, nachher schauen wir, wo das Rahmenabkommen steht. So oder so: Den Lohnschutz geben wir nicht preis. Ein Rahmenabkommen muss am Schluss den Arbeitnehmenden nützen.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
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