Zur Vorgeschichte: Der SGB hatte 2003 bei der IAO eine Klage gegen die Schweiz eingereicht. Deren Inhalt: die Schweiz schütze Gewerkschaftsvertreter/innen zu wenig gegen missbräuchliche Kündigungen, obwohl sie das IAO-Abkommen Nr. 98 über die Gewerkschaftsfreiheit, das einen solchen Schutz verlangt, 1999 ratifiziert habe. Der SGB verlangte in der Klage, missbräuchliche Kündigungen an Gewerkschaftsvertreter/innen müssten annulliert und nicht bloss mit bis zu höchstens sechs (in der Praxis: meist bis zu drei) Monatslöhnen abgegolten werden können. 2004 hiess ein IAO-Ausschuss die Klage gut und forderte die Schweiz auf, ihre Gesetzgebung den entsprechenden internationalen Normen anzupassen. Der Bundesrat aber weigerte sich seither trotz erneuten Mahnungen der IAO, Änderungen vorzunehmen, dies mit dem Verweis auf die Haltung der Arbeitgeber, die keinen Handlungsbedarf sehen wollen.
Diese Untätigkeit ist umso inakzeptabler, als im Umfeld der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise immer mehr Arbeitgeber die Regeln der Sozialpartnerschaft in Frage stellen und die Gewerkschaftsrechte verletzen, indem sie gewerkschaftliche Vertrauensleute und/oder Personalvertreter entlassen. Der Beleg:
- Im Februar 2009 entlässt «Manor» in Genf eine Verkäuferin aus gewerkschaftsfeindlichen Gründen. Zwar hat inzwischen ein Genfer Schlichtungsamt deren Wiedereinstellung verlangt, die Manor-Direktion aber weigert sich bis anhin, dieses Urteil anzuerkennen.
- Ende April 2009 entliess die Textilmaschinenfabrik Karl Mayer AG (alt: Benninger) nach 39 Jahren loyaler Dienste einen Monteur, einen aktiven Gewerkschafter und früheren Betriebskommissionspräsidenten. Sein «Vergehen»: er hatte einem Journalisten über die mit der Restrukturierung verbundenen Schwierigkeiten Auskunft gegeben.
- Mitte Mai 2009 schliesslich wurden im Rahmen einer Massenentlassung beim «Tages-Anzeiger» und beim «Bund» die jeweiligen Betriebskommissions-Präsidenten, beide langjährig bei diesen Zeitungen beschäftigte Journalisten, entlassen.
Es ist höchste Zeit, dass die Behörden endlich eine Wende vollziehen. In diesem Sinn appellierte auch Sir Roy Trotman, Präsident der Arbeitnehmer-Gruppe und Vize-Präsident der IAO-Konferenz 2009, an die Schweizer Regierung. Tritt diese Wende nicht ein, wird der SGB dafür sorgen, dass die Schweiz an der IAO-Konferenz 2010 angeklagt wird. Denn die Gewerkschaftsfreiheit impliziert einen besonderen Schutz von Gewerkschaftsvertretern gegen missbräuchliche Kündigung – und diese Freiheit gehört, wie das Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit zu den Kernarbeitsnormen.
Persönliches Zeugnis
Für die Aktion vor dem IAO-Sitz verfasste der im Mai 09 entlassene Personalkommissions-Präsident des „Tages-Anzeigers“, Daniel Suter, eine „Témoignage“. Seine Freistellung im Rahmen der Massenentlassung deutet Suter als bewusste Attacke auf die Personalkommission. Ihr soll von vorneherein vergällt werden, sich gegen die Massenentlassungen zu wehren. Suters Kommentar: „Solange der Gesetzgeber derartige missbräuchliche Kündigungen nicht verhindert, indem er fehlbare Arbeitgeber […] zwingt, missbräuchlich Entlassene auch wieder einzustellen, bleibt der Schutz von Arbeitnehmervertretern eine Illusion.“