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Der VPOD verteidigt das Schweizer Streikrecht in Strassburg

  • Gewerkschaftsrechte
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Verfasst durch Matthias Preisser

Das Bundesgerichtsurteil im Fall La Providence stellt das Streikrecht in Frage. Der VPOD zieht deshalb vor den Menschenrechtsgerichtshof, um dieses fundamentale Recht zu verteidigen.

Sie waren auf die Strasse gegangen, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sahen, ihre Arbeitsbedingungen zu verteidigen. Die neue Besitzerin, der Privatspitalkonzern Genolier hatte nicht nur den Gesamtarbeitsvertrag gekündigt, um Löhne und Zulagen kürzen und die Arbeitszeit verlängern zu können. Er hatte gleichzeitig auch das Gespräch mit den Angestellten des Neuenburger Privatspitals La Providence verweigert.

Wohl deshalb fand der Streik auch viel Rückhalt in der Bevölkerung. Doch nach einer längeren Auseinandersetzung schickte Genolier den Streikenden schliesslich den blauen Brief. Für die Streikenden und ihre Gewerkschaft VPOD war klar: Damit hat sich der Konzern ins rechtliche Abseits begeben. Denn die Schweiz kennt zwar unrühmlicherweise immer noch keinen Kündigungsschutz für gewerkschaftliche AktivistInnen, der diesen Namen verdient. Doch gleichzeitig garantiert die Bundesverfassung im Artikel 28 das Streikrecht.

Skandalöses Bundesgerichtsurteil zum Streik

Mehr als sieben Jahre sind seit dem Streik vergangen, und mittlerweile lag der Fall beim Bundesgericht. Dieses hat nun kürzlich ein aus Sicht der Gewerkschaften skandalöses Urteil verkündet: Die Verteidigung der bisherigen, durch einen breit abgestützten kantonalen GAV garantierten Arbeitsbedingungen sei «unverhältnismässig» gewesen, der Streik deshalb illegal.
Gemäss bisheriger Rechtsprechung war klar: Ein Streik ist legal, wenn die Forderungen auf die Arbeitsbeziehungen zielen, wenn er von einer Gewerkschaft mitgetragen wird, wenn eine Konfliktlösung mit Verhandlungen gesucht wurde und gescheitert ist, und wenn er die Existenz des Unternehmens nicht in Frage stellt. Mit dem La-Providence-Urteil verlässt das Bundesgericht diese Linie und geht viel weiter: Neu könnten selbst rein defensive Streiks für illegal erklärt werden, wenn die RichterInnen zum Schluss gelangten, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sei zumutbar. Damit wäre das Streikrecht faktisch ausgehebelt.

«Kein demokratischer Kampf gegen dieses Phänomen ist unverhältnismäßig»

Die Gewerkschaften können und wollen das nicht hinnehmen. Deshalb legt der VPOD beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gegen das Urteil Beschwerde ein. Und er wird dabei vom SGB unterstützt: «Der unlautere Wettbewerb auf dem Rücken der Mitarbeitenden ruiniert das Schweizer Gesundheitssystem», so SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard. «Kein demokratischer Kampf gegen dieses Phänomen ist unverhältnismäßig», stellte Maillard bei einer Medienkonferenz fest. Die Schweiz muss die fundamentalen Arbeitsrechte endlich respektieren, wie sie die Internationale Arbeitsorganisation der UNO (ILO) garantiert.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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