Der Bundesrat gibt in einem Bericht zu den Auswirkungen des digitalen Wandels den Gewerkschaften Recht: Die Regeln des Arbeitsgesetzes sind schon heute extrem flexibel. Deswegen sind die entsprechenden Vorstösse wie die Motion Portmann sowie die Parlamentarischen Initiativen Graber und Keller-Sutter zu versenken.
Im Moment ist bei gewissen bürgerlichen ParlamentarierInnen das Deregulierungsfieber ausgebrochen. Unter dem Deckmantel verschiedenster Vorwände wird der Abbau des Arbeitnehmerschutzes verlangt. Einmal ruft die Digitalisierung nach mehr Nachtarbeit, einmal soll man wegen dem starken Franken 60 oder 70 Stunden pro Woche arbeiten, dann wieder soll der "Abbau der Bürokratie" die Liquidierung des Überzeitzuschlags rechtfertigen.
Sehr flexible Arbeitszeiten
Nun schreibt es sogar der Bundesrat schwarz auf weiss: Das Schweizerische Arbeitsrecht ermöglicht es, die Arbeitszeiten sehr flexibel zu gestalten. So sind heute etwa gleitende Arbeitszeiten, Jahresarbeitszeiten oder gar die die Arbeit auf Abruf weit verbreitet. Im letzteren Fall gewährt das Schweizer Arbeitsrecht im europäischen Vergleich eine extreme Flexibilität: Das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit einer Beschäftigung auf Abruf entsprechend festgehalten, dass die zu leistende Arbeitszeit im Vertrag nicht einmal zwingend bestimmt sein müsse. Das Schweizer Arbeitsrecht erlaubt deshalb nicht nur Flexibilität, sondern auch prekäre Zustände.
Das Schweizer Arbeitsrecht erlaubt es auch, Arbeitnehmende von überall her einzusetzen: Home-Telearbeit, Desk-Sharing. Seit 2016 kann zudem auf die Arbeitszeiterfassung verzichtet oder nur eine vereinfachte Arbeitszeiterfassung (Tagestotal) gemacht werden. Fazit: vieles ist erlaubt, fast alles ist möglich.
Mindestmass an Gesundheitsschutz muss sein
Der Bundesrat hält in seinem Bericht zu Recht fest: Der Flexibilität bei der Festlegung der Dauer oder des Zeitpunkts der Arbeitsleistung sind jedoch gewisse Grenzen gesetzt. So sieht das öffentliche Arbeitnehmerschutzrecht für die Mehrzahl der in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wöchentliche und tägliche Höchstarbeits- und Ruhezeiten vor. Für die Beschäftigung während der Nacht oder am Sonntag ist ein dringendes Bedürfnis oder eine Unentbehrlichkeit verlangt. Das ist weder Schikane noch "Bürokratie": Die Ruhezeiten und Pausenregelungen haben laut Bundesrat in erster Linie zum Ziel, die Belastung der Arbeitnehmenden zu begrenzen. Sie sollen vor überlangen Arbeitstagen schützen, und damit negative Auswirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit möglichst vermeiden.
Branchen können von Ausnahmeregelungen profitieren
Der Bundesrat erinnert weiter: Den Besonderheiten einzelner Wirtschaftszweige kann und wird durch Sonderbestimmungen in der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz Rechnung getragen. Diese Verordnung ermöglicht andere Ruhezeiten, andere Wochenarbeitszeiten oder z.B. die Möglichkeit, am Sonntag oder in der Nacht zu arbeiten. Jeder Branche und jedem Betrieb steht es frei, solche Ausnahmeregelungen zu beantragen sowie sozialpartnerschaftlich zu diskutieren. Das SECO kann sogar betriebliche Einzelbewilligungen erteilen.
Für den SGB ist deshalb klar: Sämtliche parlamentarischen Vorstösse, die darauf abzielen, das bereits äusserst flexible Schweizer Arbeitsgesetz weiter zu deregulieren, müssen mit allen Mitteln bekämpft werden. Denn sie würden zu mehr Stress, mehr Burnout und mehr Gratisarbeit führen. Der Bericht des Bundesrates zeigt auf, dass Vorstösse wie die nun im Nationalrat anstehende Motion Portmann völlig unbegründet sind. Dieser will den (nicht definierten) "Sozialpartnern" erlauben, in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung von den Vorschriften der Verordnung abzuweichen. Eine Einladung zum Missbrauch - und umso unverständlicher, als seit dem 1.1.2016 die Arbeitszeiterfassung für viele Arbeitgeber bereits abgeschafft oder stark vereinfacht wurde.