Bund und Kantone lassen Lohndumping zu - Überprüfung der Flankierenden Massnahmen am Beispiel der Gartenbau-Branche

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
  • Löhne und Vertragspolitik
Artikel

Referat Daniel Lampart, Leiter SGB-Sekretariat und Chefökonom

Mehr Lohndumping, doch Deutschschweizer Kantone erlassen keine schützenden Mindestlöhne

Lohndruck ist in der Schweiz eine Realität. Das Problem hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft. In den Branchen ohne verbindliche Mindestlöhne hat sich der Anteil der Unternehmen, bei denen die Kontrolleure Dumpinglöhne aufgedeckt haben, zwischen 2009 und 2011 nahezu verdoppelt! Gemäss den Seco-Statistiken stiegen die Verstossquoten von 6 auf 11 Prozent. Im laufenden Jahr dürfte sich die Situation nicht entschärft haben. Im Gegenteil: Wegen dem überbewerteten Franken werden sich Arbeitgeber vermehrt nach billigeren Arbeitskräften im Ausland umsehen.

Das Gesetz (OR Art. 360a) sieht bei wiederholtem Dumping die Einführung von Mindestlöhnen vor. Bisher haben aber nur Kantone der lateinischen Schweiz und in zwei Fällen der Bund (Hauswirtschaft, kleine Reinigungsfirmen) Mindestlöhne erlassen. In der Deutschschweiz gibt es noch in keinem Kanton Mindestlöhne, obwohl die Lage nicht besser ist als in der lateinischen Schweiz.

Kantone tolerieren Dumping – mit zu tiefen Richtlöhnen bei den Kontrollen

In der Realität dürfte der Lohndruck wesentlich grösser sein als offiziell ausgewiesen. Das zeigt eine exemplarische Untersuchung des SGB zur Gartenbau-Branche. Zahlreiche Kantone tolerieren beispielsweise Löhne für Hilfsarbeiter von 3350 Fr./Mt. oder für gelernte Gärtner mit Berufserfahrung von 4120 Fr./Mt., obwohl das Lohnniveau im Schweizer Gartenbau deutlich darüber liegt. Mit diesen klar zu tiefen Richtlöhnen wird immerhin bei 11 Prozent der kontrollierten Firmen Dumping festgestellt. In Kantonen, in denen mit Richtlöhnen kontrolliert wird, die näher bei den üblichen Löhnen liegen, sind die Verstossquoten höher (z.B. 34 Prozent in BL/BS). Die offiziellen Verstosszahlen zum Gartenbau zeigen ein viel zu positives Bild der Lohnsituation in der Branche.

Die von den Kantonen bei den Kontrollen verwendeten Richtlöhne stammen aus einem Gesamtarbeitsvertrag GAV des Arbeitgeberverbandes Jardin Suisse mit dem kleinen Arbeitnehmerverband Grüne Berufe Schweiz. Dieser GAV gilt nur für die Mitgliedsfirmen und ist nicht allgemeinverbindlich. Die Löhne in diesem GAV liegen deutlich unter den üblicherweise bezahlten Löhnen. Sie dürfen deshalb nicht als Kontrollinstrument gebraucht werden.

Als Richtwert für die üblichen Löhne im Gartenbau können beispielsweise Löhne aus kantonalen GAV verwendet werden, die mit aktiven, unabhängigen Gewerkschaften abgeschlossen wurden. Im Gartenbau-GAV des Kantons Genf (mit Unia, SIT und Syna) liegen die Mindestlöhne bei 4432 Fr./Mt. (HilfsarbeiterIn) bzw. bei 5069 Fr./Mt. (Lehre mit mind. 3 Jahre Berufserfahrung). Eine andere Quelle sind Löhne für verwandte Tätigkeiten in anderen Branchen. Im Bau erhalten beispielsweise Hilfskräfte einen Lohn von über 4400 Fr./Mt. Selbst eine Lohnerhebung des Arbeitgeberverbandes Jardin Suisse zeigt, dass die GAV-Löhne aus dem Jardin Suisse-Vertrag als Referenzlöhne nicht taugen. Die Obergrenzen des untersten Quartils [1] betragen 3600 bis 3700 Fr. für Hilfskräfte und 4200 bis 4300 Fr. für Gelernte mit mind. 3 Jahre Berufserfahrung.

Kantone müssen die Einhaltung der üblichen Löhne durchsetzen

Dass die Kantone bei den Kontrollen Löhne aus beliebigen GAV als Richtlöhne verwenden, beschränkt sich nicht auf den Gartenbau. Es ist daher zu vermuten, dass auch in anderen Branchen Dumping toleriert wird, weil die verwendeten Richtlöhne zu tief sind. Die Flankierenden Massnahmen verlangen, dass die üblichen Löhne in der Schweiz eingehalten werden müssen. Die Kantone müssen bei ihren Kontrollen die üblichen Löhne als Richtlöhne nehmen. Tun sie das nicht, muss das Seco intervenieren. Denn das Seco hat bei den Flankierenden die Oberaufsichtsfunktion.

Ein GAV mit guten Mindestlöhnen für den Gartenbau

Um das Lohndumping in der Gartenbau-Branche zu bekämpfen, müssen rasch allgemeinverbindliche nationale Mindestlöhne eingeführt werden. So verlangt es das Gesetz über die Flankierenden Massnahmen (OR 360a). Anzustreben ist ein allgemeinverbindlich erklärter GAV. Der heutige, nicht allgemeinverbindlich erklärte GAV ist keine Basis dafür, da die darin festgeschriebenen Löhne zu tief sind bzw. klar unter den üblichen Löhnen liegen. Es bräuchte einen GAV mit höheren Mindestlöhnen unter Einbezug aller relevanten Gewerkschaften. Aus gewerkschaftlicher Sicht muss das Lohnniveau im Gartenbau generell deutlich angehoben werden. Die entsprechenden Richtwerte für Mindestlöhne in einem GAV sind die Mindestlöhne im GAV Gartenbau Genf oder die Löhne, die im Bauhauptgewerbe für verwandte Tätigkeiten bezahlt werden.

Dumping durch Subunternehmen – Gesetzeslücke rasch schliessen

Die Flankierenden Massnahmen haben nach wie vor gesetzliche Lücken, die von verantwortungslosen Firmen genutzt werden, um die Schweizer Lohnbestimmungen zu umgehen. Das grösste Problem sind die Subunternehmerketten. Mit der Osterweiterung ist die Durchsetzung der Schweizer Löhne noch schwieriger geworden. Wie sollen die Kontrolleure eine seriöse Lohnbuchkontrolle in Polen machen? Darum müssen die Flankierenden erlauben, die Löhne direkt in der Schweiz durchzusetzen. Bauhandwerkerfirmen müssen in vielen Branchen mittlerweile Kautionen hinterlegen. Das hilft teilweise. Doch bei Subunternehmerketten ist dieses Instrument in vielen Fällen wirkungslos. Am Schluss der Subunternehmer-Ketten stehen regelmässig Firmen aus den EU-8.

National- und Ständerat müssen deshalb in der Herbstsession wirksame Massnahmen gegen das Subunternehmer-Dumping beschliessen. Die Subunternehmerhaftung muss effektiv und unbürokratisch sein. Das bedeutet beispielsweise, dass der Erst-Auftragnehmer für die Löhne und die Bussen bei den Lohnverstössen haften muss (Kettenhaftung). Darunter müssen auch Konventionalstrafen aus GAV fallen, sonst sind die Bussen zu tief und Subunternehmerdumping lohnt sich.

 


[1] Obergrenze des untersten Quartils: 25 Prozent der Löhne liegen unter diesem Wert. Diese Quartilsgrenze gilt beim Vollzug der Flankierenden Massnahmen als Referenz für die üblichen Löhne. Darüber liegende Löhne gelten als üblich. Beispiele sind die Lohnüberprüfungen in der Hauswirtschaftsbranche durch die nationale tripartite Kommission oder in der Kosmetikbranche im Kanton Tessin.

Weitere  Beiträge der Medienkonferenz "Gartenbau und Solidarhaftung" vom 21. August 2012

Beiträge der Medienkonferenz:

  • Paul Rechsteiner, SGB-Präsident: Lohnschutz wirksam durchsetzen: Scharfe Kontrollen, Mindestlöhne und Solidarhaftung!
  • Daniel Lampart, Leiter SGB-Sekretariat und Chefökonom: Bund und Kantone lassen Lohndumping zu - Überprüfung der Flankierenden Massnahmen am Beispiel der Gartenbau-Branche
  • Renzo Ambrosetti, Co-Präsident Gewerkschaft Unia: <media 513 - - "TEXT, 120821 RA solidar, 120821_RA_solidar.pdf, 32 KB">"Ordnung im Stall" gibt es nur mit einer verbindlichen Solidarhaftung</media>

Dossier:

  • Conditions de travail et salaires dans l’horticulture
    (Dossier nur auf Französisch erhältlich – mit deutscher Zusammenfassung)

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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