Schweizerfahne vor EU-Fahne

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Bessere Lage der Arbeitnehmenden in der Schweiz – aber weitere Schritte nötig

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Artikel
Verfasst durch Daniel Lampart

Personenfreizügigkeit mit wirksamen Flankierenden – ein fortschrittliches System. Kommentar zum 17. Observatoriumsbericht

Die Zahl der Einwanderer und Einwandererinnen wird in erster Linie durch die wirtschaftliche Lage und den Arbeitskräftebedarf der Firmen bestimmt. Das zeigt der Blick in die Geschichte der Schweizer Migrationspolitik. Oder der Vergleich der Schweiz mit Ländern, die in ihrer Einwanderungspolitik mit so genannten Punktesystemen – teilweise in Verbindung mit Kontingenten – arbeiten (Kanada, Australien, Neuseeland).

Was man aber steuern kann und steuern muss, ist die „Qualität“ der Migration. Nämlich die Arbeitsbedingungen, die Rechte in Bezug auf Aufenthalt und sozialer Sicherheit sowie die Qualifikation. Diesbezüglich schneidet die heutige Personenfreizügigkeit mit den Flankierenden Massnahmen wesentlich besser ab als andere Systeme. Wer unter der Personenfreizügigkeit in die Schweiz einwandern will, braucht eine Anstellung bzw. einen Arbeitsvertrag. Die Flankierenden sorgen für den Schutz der Löhne. Und die besseren Rechte beim Aufenthalt und der sozialen Sicherheit erlauben es den Migrantinnen und Migranten, sich besser gegen Missbräuche zu wehren.

Einwanderung in die Schweiz: Anteil an der ständigen Wohnbevölkerung (in Prozent)

Quelle: SEM, BFS, Berechnungen SGB

Einwanderung: Die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern (2004=100)

Quelle: OECD

Die über das FZA in die Schweiz eingewanderten Personen sind beruflich besser integriert als das stark auf formelle Ausbildungen ausgerichtete kanadische System. Doch die Ausbildung alleine führt noch nicht zu einer guten Anstellung. Zahlreiche eingewanderte Hochschul-AbsolventInnen sind in Kanada arbeitslos oder in einem prekären Job tätig.

Erwerbstätigenquoten von neu Eingewanderten: Schweiz vs. Kanada (Anteile in Prozent, in den letzten 5 Jahren eingewandert)

Quellen: Yssaad und Fields (2018), Vidal-Coso, E. (2019): Employment Trajectories of Recent Immigrants in Switzerland.

Dank den Flankierenden Massnahmen und den besseren Aufenthaltsrechten hat sich der Lohndruck verringert. Während die Saisonniers beispielsweise bei gleicher Arbeit noch 13.6 Prozent weniger verdienten als Schweizerinnen und Schweizer sind es heute bei den Kurzaufenthalten noch 1.9 Prozent. Auch bei den Jahresaufenthalten und den Grenzgängerinnen und Grenzgängern hat sich der Lohnabschlag verkleinert. Das nützt nicht nur den Berufstätigen, die neu in die Schweiz arbeiten kommen. Sondern es schützt auch die Löhne der Arbeitnehmenden, die bereits in der Schweiz tätig sind.

Lohndumping: Statistisch nicht erklärbarer Lohnrückstand 1996 vs. 2018 (In Prozent gegenüber der SchweizerInnen/Niedergelassenen)

Quellen: 2018 Seco, 1996: De Coulon, A. et al. (2003): Analyse der Lohnunterschiede zwischen der ausländischen und der schweizerischen Bevölkerung. In: Wicker, H.-R. et al. (Hg.): Migration und die Schweiz, Seismo, Zürich.

Die Schweiz hat seit der Einführung der Personenfreizügigkeit einen Lohnschutz aufgebaut, der zu den besten Europas gehört. Die Sozialpartner kontrollieren im Rahmen des GAV-Vollzugs alleine rund 100'000 Löhne pro Jahr. Das ist unerlässlich. Weil die Löhne im europäischen Vergleich hoch sind. Und weil die Schweiz im Unterschied zu den meisten anderen Ländern in Europa kaum Sprachbarrieren hat. Ausländische Firmen können sich mit ihren Kunden auf deutsch, französisch oder italienisch kommunizieren. Im Unterschied beispielsweise zu Dänemark, wo es deshalb eine unsichtbare Grenze zu Deutschland gibt.

Der Lohnschutz weist nach wie vor empfindliche Lücken auf. Beispielsweise ist nur rund die Hälfte der Berufstätigen durch Mindestlöhne geschützt. In diesen ungeschützten Berufen und Branchen machen die Kantone zwar Kontrollen. Doch in gewissen Kantonen der Deutschschweiz wie SG, TG oder ZG werden nicht mehr als 2 Prozent der Schweizer Arbeitgeber pro Jahr kontrolliert (bzw. alle 50 Jahre). Im Dumpingfall müssen die Kantone die Firmen auffordern, ihre Löhne anzupassen. Doch mittlerweile tun das nur noch 53 Prozent der Firmen. Das Gesetz sieht bei Fällen von wiederholtem Dumping vor, dass Bund oder Kantone in den betroffenen Branchen Mindestlöhne erlassen. Doch abgesehen von den Kantonen Genf und Tessin wird das kaum gemacht.

Einem besonderen Risiko von Lohndruck ausgesetzt sind Neuanstellungen. Lohnsenkungen sind hier ohne Änderungskündigung möglich. Ein Teil der Neuanstellungen betrifft die Neubesetzung von vakanten Dauerstellen. Sehr bedeutend und sensibel sind aber auch Temporärstellen, Kurzaufenthalte oder Entsendungen – d.h. kurzfristige Einsätze mit vielen Wechseln. Gewisse Hinweise für Lohndruck bei Neuanstellungen liefern auch die im Observatoriumsbericht aufgeführten Studien von Favre, Föllmi und Zweimüller.

Mit dem Kapitel zum Gesundheitswesen greift der Observatoriumsbericht ein wichtiges Thema auf. Ein Problem sind die relativ häufigen Berufsaustritte. Gemäss dem neusten OBSAN-Bericht 2021 verlassen 42 Prozent der Pflegefachpersonen den Beruf vorzeitig. Ursachen dafür sind die Arbeitsbedingungen, die hohe Arbeitsbelastung, die teilweise schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Einkommensperspektiven. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass der Handlungsbedarf gross ist.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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