UVG-Revision: Sozialpartnerschaftlichen Kompromiss nicht gefährden
2011 scheiterte im Parlament zu Recht die 1. UVG Revision. Nunmehr liegt dem Nationalrat eine neue, wesentlich von den Sozialpartnern gestaltete – und damit austarierte – Vorlage vor.
Doris Bianchi
Die Unfallversicherung funktioniert gut und steht finanziell auf soliden Beinen. Um so unverständlicher, dass die 1. UVG-Revision in falsches Fahrwasser geriet. Sie wollte die SUVA schwächen und gefährdete damit die erfreulichen Verbesserungen bei der beruflichen Integration von Verunfallten und die Prävention. Die vorgeschlagenen Kürzungen der Versicherungsleistungen hätten die soziale Absicherung bei Unfällen und Berufskrankheiten auf ein ungenügendes Niveau gedrückt. Die Vorschläge fanden aber schliesslich 2011 keine Mehrheiten in den eidgenössischen Räten.
Die Sozialpartner haben daraufhin beschlossen, Vorschläge für eine neue Revision auszuarbeiten. Diese sollte sich aufs Wesentliche beschränken und die Unfallversicherung als gut funktionierende und solid finanzierte Sozialversicherung erhalten. Die Verhandlungen dauerten fast zwei Jahre und waren geprägt von der gemeinsamen Verantwortung für ein wichtiges Sozialwerk. Wie in jedem sozialpartnerschaftlichen Kompromiss konnte keine Partei ihre Anliegen vollständig durchsetzen. Die sozialpartnerschaftlichen Vorschläge fanden auch die Zustimmung der Suva und des Schweizerischen Versicherungsverbandes. Damit stellen sich alle massgeblichen Akteure der Unfallversicherung, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Versicherungsträger, hinter den Kompromiss.
Der Bundesrat hat die Vorschläge der Sozialpartner weitgehend in seine neue Vorlage aufgenommen. Diese modernisiert das seit 1984 geltende Gesetz über die Unfallversicherung, ohne deren effiziente Eigenheiten preiszugeben. Denn nur mit guten Versicherungsleistungen und einer starken Suva, welche Unfälle und Berufskrankheiten in Betrieben mit hohen Risiken abdecken, kann bei deren Vorkommen menschliches Leid gemildert werden.
Die austarierte Vorlage modernisiert auch die Suva-Strukturen; die Besonderheiten in der Organisation der Suva bleiben jedoch erhalten. So ist weiterhin vorgesehen, dass das oberste Organ der Suva – neu der Suva-Rat – aus 40 Mitgliedern besteht. Diese Besonderheit ist wichtig für das gute Funktionieren der Unfallversicherung.
Die Suva wird eigenverantwortlich und paritätisch von den Sozialpartnern sowie von Bundesvertretern im Verwaltungsrat geführt und verwaltet. Die sozialpartnerschaftliche Steuerung und Selbstverwaltung der Suva ist das Korrelat zur Pflichtmitgliedschaft. Sie ist das Gegengewicht zur Tatsache, dass die bei der Suva versicherten Betriebe nicht wählen können, mit welchem Versicherer sie die Unfallversicherung abschliessen. Die Pflichtmitgliedschaft wiederum ist die Voraussetzung für eine wirksame Prävention. Die Suva kann so den nötigen Druck aufbauen auf die Betriebe, die die Arbeitssicherheitsvorschriften nicht einhalten oder auf solche, deren Schadenverlauf negativ ist. Wer den Versicherer nicht wechseln kann, muss im eigenen Interesse in solchen Fällen handeln. Die Pflichtmitgliedschaft stellt aber auch sicher, dass die Transaktionskosten niedrig sind.
Diese Pflichtgemeinschaft verlangt, dass die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen der Branchen, die obligatorisch bei der Suva versichert sind, auch Mitsprache bei der Ausgestaltung der Prämien und der Prävention sowie bei der Leistungsabwicklung erhalten. Deshalb umfasst das oberste Organ auch 40 Mitglieder. Und deshalb ist die Suva so gut in den Betrieben und beim Personal verankert.
Der Nationalrat wird in der Sommersession diese Revision beraten. Er tut gut daran, die austarierte Vorlage weder aufzuladen noch zusammenzustreichen.
Motionen „Strategische Überprüfung der Bundesaufgaben“ und „Stopp der Personalkosten“
(Dore Heim) Es war auch schon attraktiver, bei der Bundesverwaltung zu arbeiten. Seit Monaten wird gegen die Bundesangestellten geschossen. Je nach intellektuellem Niveau und kulturellem Hintergrund werden die Voten mit staatstragender Besorgnis bemäntelt oder hemdsärmelig feindselig vorgebracht. Tenor: die Bundesverwaltung ist ein Moloch, den es zu bekämpfen gilt, ein Tsunami, der die Privatwirtschaft zu verschlingen droht, eine kreatürliche Wucht, die mit vereinten Kräften zurückgedrängt werden muss. Vergessen die unzähligen Vorstösse, die in jeder Session eingereicht werden, und die immer mehr und immer alles möglichst sofort von der Bundesverwaltung einfordern. Verdrängt die Tatsache, dass die Schweiz ein bewährtes Zusammenspiel von Verwaltung und Privatwirtschaft kennt und die hohe Qualität der Verwaltung wesentlich zur Standortattraktivität beiträgt. Und dass die Schweiz mit etwas über 33 Prozent eine der tiefsten Staatsquoten hat, interessiert gar nicht. Am Personaletat kann jeder sein Mütchen kühlen, das sind schwach gebundene Mittel und da droht kein Interessenkonflikt.
Motion der FK-NR zur strategischen Überprüfung der Bundesaufgaben:
Nach Willen der Mehrheit der Finanzkommission des Nationalrats soll das Bundesbudget jährlich um 1.5 Mrd. Franken gekürzt werden. Damit solle das Anliegen eines nachhaltigen Bürokratieabbaus aufgenommen werden. Wohl eher soll so der Weg für die Umsetzung der USR III freigeschaufelt werden. Da eben der Personaletat der grösste Budgetposten mit schwach gebundenen Mitteln ist, dürfte klar sein, wo die Kürzung hauptsächlich erfolgen würde! Die Motion, die der Nationalrat am 11. Juni behandelt, muss abgelehnt werden, sie schnürt jeglicher Personalentwicklung die Luft ab und zementiert eine rigide Sparphilosophie – auf Jahre hinaus.
Motion Föhn „Stopp der Personalkosten“ 15.3368:
Ständerat Föhn hat eine Vision: Die öffentliche Verwaltung wächst ungebremst weiter, der Staatsapparat bläht sich auf, jeder zusätzliche Beamte ist ein potentieller Regulierer. Davon leitet Ständerat Föhn eine Mission ab und verlangt gebieterisch die Entschlackung des aufgeblähten Personaletats, der Bundeshaushalt muss gesunden... Die Kur nach Föhn heisst: sofortiger und absoluter Stopp der Personalkosten.
Laut Berechnung des eidgenössischen Personalamts kostet die Bearbeitung eines Vorstosses ca. 6‘700 Franken. Pro Jahr werden etwa 1‘000 Vorstösse eingereicht. In einer Legislatur summiert sich dies auf 30 Mio. Franken oder hundert Stellen. Wir hoffen auf breite Ablehnung der ungeniessbaren Motion, die der Ständerat am 18. Juni behandelt.
Asbestopfer via Fonds gerecht entschädigen
(Luca Cirigliano) Der Nationalrat wird diese Session eine Motion seiner Rechtskommission behandeln, die nach Haftpflichtrecht einen Fonds zur vollumfänglichen Entschädigung von Asbestopfern einrichten will.
Oft können Asbestkranke, weil die Krankheit häufig erst mehrere Jahrzehnte nach dem Kontakt mit Asbest ausbricht, keine Genugtuung oder Schadenersatz vom Schädiger erhalten. Das Schweizer Recht, bzw. dessen Interpretation durch die Gerichte, sieht nämlich vor, dass nach nur 10 Jahren Ansprüche aus Haftpflichtrecht verjähren, unabhängig davon, ob der Schaden anhält oder nicht.
Einen besseren Schutz der Asbestkranken verlangen nicht nur die Gewerkschaften und Opferverbände. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein wegweisendes Urteil gefällt. Danach verstösst es gegen die Menschenrechte, dass Asbestopfer nach 10 Jahren ab Einatmen der Fasern ihre Ansprüche nicht mehr vor Gericht geltend machen können und sie und ihre Angehörigen so auf ihrem Schaden sitzen bleiben. Unverständlicherweise verschliesst sich der Bundesrat jedoch bisher einer Lösung durch einen Fonds, wie sie viele andere europäischen Länder kennen.
Ein Fonds würde es nämlich erlauben, die krassesten Ungerechtigkeiten gegenüber Asbestopfern zu beheben und einen Schritt in Richtung menschenrechtskonformer Ausgestaltung des Verjährungsrechts zu machen. Ein solcher Fonds stellt insbesondere für bereits verjährte Fälle und für asbestbedingte Erkrankte, die nicht unter das Unfallversicherungsgesetz (UVG) fallen, einen späten Akt der Gerechtigkeit dar.
Der Bund muss die Asbesttragödie endlich ganzheitlich angehen. Eine Anpassung des Verjährungsrechts ist zudem auch nötig, um neuen Risiken, den sog. „Emerging Risks“, sachgerecht begegnen zu können. Weiter dürfen im Runden Tisch angesichts der gewaltigen Mengen von Asbest, die vor dem Verbot von 1990 in der Schweiz verbaut wurden und die heute bei Abbruch und Umbauten freigesetzt werden können, zwei Dinge nicht vergessen gehen. Einerseits müssen die Lücken in der Prävention dringend geschlossen werden. Andererseits dürfen die grossen Ausgaben, welche die Suva im Zusammenhang mit der Asbest-Problematik bereits leistet und die noch auf sie zukommen werden, nicht einseitig auf einige gewerbliche Branchen abgewälzt werden. Es braucht einen angemessenen Ausgleich im ganzen Versichertenkollektiv.
Milchkuh-Initiative
(Dore Heim) Hier darf mal echt von einer Abzocker-Initiative gesprochen werden, denn die vereinte Strassenlobby will die kompletten Einnahmen der Mineralölsteuer in die Strassenfinanzierung abzweigen und der Bundeskasse damit jährlich 1.5 Mrd. Franken entziehen. Dass die Strassenkasse mit diesem Zufluss unsinnig überfüttert würde und es gleichzeitig zu einem wüsten Verteidigungskampf in anderen, den bürgerlichen Parteien ebenfalls teuren Bereichen käme, hat den Ständerat als erstberatende Kammer dazu bewogen, die Initiative mit einer überwältigenden Mehrheit abzulehnen. Die KVF des Nationalrats sieht es nicht ganz so eindeutig, sie lehnt die Initiative mit 15 zu 7 Stimmen ab. Bleibt zu hoffen, dass die Ablehnung im Rat sehr viel deutlicher ausfällt! Denn die Milchkuh muss vom Eis, bevor über den neuen Nationalstrassen- und Agglomerationsprogramme Fonds NAF verhandelt wird. Es ist nämlich kaum möglich, eine konstruktive Debatte über eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur zu führen, wenn mit dieser Initiative stets das Fallbeil im Nacken droht.
Gütertransportgesetz Revision
(Dore Heim) Der (kleine) Lichtblick vorneweg: Die KVF-Ständerat hat die Vorlage wenigstens etwas korrigiert.
Die Totalrevision des Gütertransportgesetzes hat sich im Nationalrat in der Frühlingssession zur Steilvorlage für den Strassentransport mutiert: Der gesamte Schienengüterverkehr soll künftig eigenwirtschaftlich sein, die SBB sollen nach Willen der Ratsmehrheit von der Pflicht zum Gütertransport befreit werden, und SBB Cargo soll aus dem Unternehmen ausgelagert werden. Dass dies der Förderung des Schienengüterverkehrs dienen soll, wirkt einigermassen dreist, zumal gerade der Wagenladungsverkehr, das Hauptgeschäft von SBB Cargo, kaum gewinnbringend betrieben werden kann. Konkurrenzfähig ist der Schienengüterverkehr nur bei langen Strecken und im Transit. Aber Fakt ist: Es ist der Güterverkehr im Inland, der boomt. Und er boomt auf der Strasse. Der Transport auf der Schiene lohnt sich nicht bei kleinen Mengen und er kann nicht auf kurzfristige Aufträge reagieren, denn er steht in härtestem Verdrängungskampf mit dem Personenverkehr. Zwei Drittel des Gütertransports im Inland werden via Strasse transportiert und mit leichten Lieferwagen kann auch das Nachtfahrverbot elegant umgangen werden. Der Kampf ist für den Schienentransport eigentlich nicht zu gewinnen.
Die verknorzte Vorlage wurde von der KVF des Ständerats nun ein bisschen korrigiert: Der Güterverkehr als Kernaufgabe der SBB soll erhalten bleiben, und die Motion zur Auslagerung von SBB Cargo wird abgelehnt. Stattdessen sollen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von SBB Cargo evaluiert werden. Aber die Eigenwirtschaftlichkeit als Auftrag an den Schienengüterverkehr ist weiterhin in der Vorlage drin, über die nun als Zweitrat der Ständerat am 4. Juni beschliessen wird. Sollte daran festgehalten werden, ist die Zukunft des Schienengütertransports im Inland echt gefährdet. Denn der Trend zum Transport auf der Strasse hält an, nicht zuletzt wegen des starken Frankens. Gemeldet werden nämlich auch zunehmend Verstösse gegen das Kabotage-Verbot, d.h., dass ausländische Transportfirmen im Inland gleich mehrere Transporte erledigen. Selbsterklärend zu Dumpingpreisen.