Die neuste europäische Studie über die Arbeitsbedingungen zeigt, dass die Gefahren für die psychische Gesundheit der Arbeitnehmenden in der Schweiz zunehmen. Dies bestätigt die alarmierenden Erfahrungen der Gewerkschaften. Die Arbeitnehmenden arbeiten immer stärker fremdbestimmt: d.h. die Arbeitgeber entscheiden immer öfter ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden, wann zu arbeiten ist. Sie verlangen immer mehr Zeitflexibilität. Es muss nach Lust und Laune der Chefs gearbeitet werden. Fazit: Die Arbeitszeitautonomie nimmt ab. Das zeigen folgende Befunde des European Working Conditions Survey (EWCS):
- Konnten 2005 noch 14,3% der Arbeitnehmenden in der Schweiz ihre Arbeitszeiten vollständig selbst festlegen, waren es 2015 nur noch 11,7%.
- Konnten 2005 noch 33,5% der Arbeitnehmenden ihre Arbeitszeit innerhalb eines gewissen Rahmens autonom festlegen, waren es 2015 nur noch 19,5%.
- 2005 gaben 45% der Arbeitnehmenden an, dass die Unternehmen ihre Arbeitszeiten ohne Änderungsmöglichkeit festlegten; 2015 erklärten dies bereits 58,1%.
- 2005 erklärten 88,1% der Arbeitnehmenden, familiäre und soziale Verpflichtungen gut oder sehr gut mit den Arbeitszeiten vereinbaren zu können, 2015 waren es 87,8%
Diese Trends sind gefährlich, weil gemäss einer anderen Studie (ESENER) gleichzeitig nur 45,2 % der Unternehmen in der Schweiz eine regelmässige Risikobeurteilung, z.B. zu Stress am Arbeitsplatz, durchführen. Im Vereinigten Königreich oder Dänemark sind es über 90% der Unternehmen, der Durchschnitt in der EU beträgt 74%. Entsprechend selten werden in der Schweiz Massnahmen zur Prävention z.B. von Stresserkrankungen getroffen. Dass diese einfach und effektiv sind, zeigen Beispiele aus dem Ausland: So hat der Volkswagen-Konzern in der Nacht einen Mail- und Serverstopp eingeführt.
Zynisch ist, dass trotz dieser alarmierenden Zahlen die Ständeräte Konrad Graber und Karin Keller-Sutter mit parlamentarischen Initiativen eine eigentliche Demontage des Arbeitnehmerschutzes planen. So sollen bis zu einem Drittel der Arbeitnehmenden gezwungen werden können, ihre Arbeitzeiten künftig nicht mehr zu erfassen und damit zu kontrollieren. Ausserdem soll für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die wöchentliche Höchstarbeitszeit faktisch abgeschafft und das Verbot für Nacht- und Sonntagsarbeit aufgehoben werden. Statt den Gesundheitsschutz weiter zu schwächen muss er angesichts der Erkenntnisse der letzten Jahre gestärkt werden.
Auskünfte
Luca Cirigliano, SGB-Zentralsekretär zuständig für Arbeitsrecht, 076 355 61 97