Angriffe auf den Lohnschutz: Warum das Rahmenabkommen brandgefährlich ist

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Blog Daniel Lampart

Die Attacken auf den Lohnschutz haben in den letzten Wochen eine neue Stufe erreicht. Bis vor kurzem waren es vor allem FDP- und SVP-Vertreter oder die Konzernlobbyisten von Avenir Suisse, die versucht haben, die Flankierenden zu auszuhöhlen. Doch in jüngster Zeit sind es zusätzlich Vertreter aus Deutschland, welche den Lohnschutz nicht nur kritisieren, sondern ihm sogar die Rechtmässigkeit absprechen. Das gibt einen Vorschmack, was auf die Schweizer Arbeitnehmenden zukommt, wenn einmal der Europäische Gerichtshof im Rahmenabkommen über den Lohnschutz in der Schweiz richten kann. 

Das erste grobe Foul kam vom neuen deutschen Botschafter Flügger, der die Flankierenden in der NZZ als «vertragswidrig» bezeichnete. Am 17. Mai delegitimiert die FAZ den Lohnschutz als «Kartell», welches «mit seiner protektionistischen und wettbewerbsverzerrenden Kraft die mit der EU vereinbarte Dienstleistungsfreiheit» unterläuft. Am 19. Mai spricht Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, von «Bürokratie».

Damit wurde erstmals öffentlich, was mir die Botschafter der EU und Deutschlands im persönlichen Gespräch seit Jahren sagen. Die Schweizer Flankierenden stehen aus ihrer Sicht in wesentlichem Widerspruch zur Forderung eines freien Marktzugangs für ausländische Firmen. Die 8-Tage-Voranmeldung und die Kaution sind dabei eher Nebenschauplätze. Die Kritik ist grundsätzlich: Sie wollen beispielsweise nicht akzeptieren, dass die Sozialpartner in der Schweiz die Mindestlöhne der GAV durchsetzen. Oder dass die Schweiz so viele Kontrollen macht wie heute. Der Schweizer Lohnschutz ist für sie unverhältnismässig und protektionistisch. 

Durch das Rahmenabkommen würden die Kritiker der Flankierenden mit dem Europäischen Gerichtshof ein neues, wirksames Instrument erhalten. Der Europäische Gerichtshof ist kein Gericht wie beispielsweise das Bundesgericht. Er versteht sich als Motor der europäischen Integration und der Etablierung des EU-Binnenmarktes. Nationale Schutzmassnahmen wie der Lohnschutz sind daher dem Generalverdacht ausgesetzt, dass sie den Marktzugang und den Binnenmarkt behindern. Dazu gibt es ausgezeichnete Analysen von Dieter Grimm oder Martin Höpner. Es ist daher alles andere als überraschend, dass der EUGH in seinen Urteilen wiederholt Lohnschutzmassnahmen als unverhältnismässig beurteilt hat (s. hier). Dieter Grimm und andere haben daher vorgeschlagen, dass die EU-Mitgliedstaaten soziale Schutzregeln einführen können sollten, die vom Zugriff des EUGH ausgenommen sind. So wie der SGB verlangt, dass der Lohnschutz nicht Teil des Rahmenabkommens sein darf.

Für die Arbeitnehmenden ist diese Logik des Binnenmarktes brandgefährlich. Wenn der Marktzugang der Firmen Priorität hat, ist der Lohnschutz unter Dauerdruck. In der Schweiz hiesse dies, dass neben den nationalen Lohnschutzgegnern aus FDP, SVP und den Grosskonzernen mit dem EUGH und den Arbeitgebervertretern aus den Nachbarländern eine weitere mächtige Kraft gegen den Lohnschutz und die Gesamtarbeitsverträge antritt.

Eine Verschlechterung des Lohnschutzes würde nicht nur den Schweizer Arbeitnehmenden schaden. Sondern auch den vielen EU-Staatsangehörigen, die in der Schweiz arbeiten. Jahr für Jahr werden in der Schweiz rund 400'000 neue Arbeitsverträge mit EU-BürgerInnen abgeschlossen. Diese kommen alle aus Ländern mit einem tieferen Lohnniveau als der Schweiz. Nicht auszudenken, was ohne wirksamen Lohnschutz geschehen würde. Das Freizügigkeitsabkommen verpflichtet die Schweiz übrigens in Art. 1, den EU-BürgerInnen die "gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer" zu gewährleisten. Die Flankierenden sind daher alles andere als «vertragswidrig». Im Gegenteil: Die Flankierenden sind Pflicht.

Momentan machen die Glencore-Lobbyisten von furrerhugi eine sehr teure Kampagne für das Rahmenabkommen (progresuisse, Interpharma-Umfrage). Ihre Ziele sind klar, auch ihnen sind die Schutzmassnahmen gegen Lohndumping seit Jahren ein Dorn im Auge.

Seit Beginn der Diskussionen über das Rahmenabkommen haben sich die Gewerkschaften  dafür eingesetzt, dass der Lohnschutz nicht verhandelt werden darf. Diese Position vertreten sie weiterhin. Damit in der Schweiz alle einen Schweizer Lohn erhalten. Damit die Arbeitnehmenden den Lohn erhalten, den sie verdienen. Und damit Europa sozialer wird.  

 

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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