Die Wirtschafts- und Abgabenkommission des Ständerats hat mit 9 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung entschieden, die Motion Baumann zur Annahme zu empfehlen. Die Motion kommt mit dem wohlklingenden Namen "Stärkung der Sozialpartnerschaft bei allgemeinverbindlich erklärten Landes-Gesamtarbeitsverträgen" daher. Das ist zynisch, denn in Tat und Wahrheit will sie die Kantone daran hindern, gegen zu tiefe Löhne Massnahmen zu ergreifen: kantonale Mindestlöhne in allen Branchen würden nicht mehr gelten, wo ein allgemeinverbindlich erklärter Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auch Bestimmungen zu den Löhnen beinhaltet. Die Motion will nichts anderes, als Working Poors zu produzieren.
Dabei haben die Kantone laut Bundesverfassung die Kompetenz, im Bereich der Sozialpolitik Gesetze zu erlassen. Sie können also auch bestimmen, dass Löhne das Existenzminimum abdecken müssen. Dementsprechend wurde bei der Debatte um einen nationalen Mindestlohn von den Initiativ-Gegnern immer wieder darauf hingewiesen, dass die Kantone bei Bedarf einen Mindestlohn einführen können. Und auch das Bundesgericht hat diese Kompetenz bestätigt.
Eine Umsetzung der Motion Baumann wäre ein eklatanter Verfassungsbruch und eine Sabotage der Sozialpartnerschaft. GAV könnten nämlich pervertiert werden, um das ohnehin bereits magere Arbeitsrecht weiter zu schwächen und den Willen des Gesetzgebers zu untergraben. Statt bessere Bedingungen als die gesetzlichen Minimalstandards für die Arbeitnehmenden zu garantieren, würden sie Ausnahmen von diesen Standards erlauben. Dass GAV als Instrumente benutzt werden könnten, um die gesetzlichen Löhne nach unten zu drücken, wäre ebenso gefährlich wie skandalös.
Besorgniserregend ist, dass dieser Angriff auf die Souveränität der Kantone und die Löhne der Arbeitnehmenden in Grenzregionen, in den Kantonen Neuenburg und Jura, aber auch Tessin und Basel, wo über ein kantonales Mindestlohngesetz debattiert wird, gerade vom Ständerat kommt. Es ist zu hoffen, dass die neu zusammengesetzte Ständeratskammer dem Antrag von Bundesrat, Kantonen und Gewerkschaften folgt und die Motion Baumann ablehnt, statt den Sozialfrieden in der Schweiz zu torpedieren.