Bis anhin wurden Massenentlassungen in multinationalen oder durch Hedge-Fonds (sogenannte Finanz-Heuschrecken) kontrollierten Unternehmen mit Standorten in verschiedenen Ländern fast immer mehrheitlich in der Schweiz durchgeführt. Wieso? Weil in der Schweiz die Bestimmungen zu Restrukturierungen und Entlassungen bei Firmen-„Sanierungen“ zahnlos und wegen einer laxen Rechtsprechung auch leicht zu umgehen waren. Das wird nun ändern. Denn das revidierte Sanierungsrecht wird die „paradiesischen“ Zustände für die Job-Abbauer vom Dienst beenden.
Im Rahmen des totalrevidierten Sanierungsrechts wird ab dem 1.1.2014 neu eine Sozialplanpflicht eingeführt. Zu verdanken ist das dem gemeinsamen und vor allem im Nationalrat hart ausgetragenen Kampf von Gewerkschaften, SP und Grünen. Die einschlägigen Regelungen sind in Art. 335h-k des Obligationenrechts zu finden.
Sanierungen erleichtert
Mit dem revidierten Recht treten wichtige Neuerungen in Kraft. Sie erleichtern die Sanierung von Unternehmen in Schwierigkeiten. Solche Unternehmen erhalten neu eine „Verschnaufpause“, d.h. sie haben bei finanziellen Schwierigkeiten eine Sistierung vor Betreibungen, ohne zwingend in ein Konkursverfahren hineinzuschlittern bzw. einen Nachlassvertrag abschliessen zu müssen. Während dieser Pause von maximal vier Monaten sollen dann konkrete Massnahmen zur Sanierung organisiert werden, z.B. die Neuverhandlung von Mietverträgen oder auch der Verkauf einzelner Unternehmensteile.
Solche Vertragsänderungen aus Sanierung werden juristisch einfacher ermöglicht. Das gleiche gilt auch bei der Übernahme von Arbeitsverträgen, z.B. wenn im Rahmen der Massnahmen Betriebsteile einem neuen Eigentümer übertragen werden. Dann müssen nicht mehr alle Arbeitsverträge bzw. die Schulden daraus solidarisch übernommen werden. Faktisch ändert das aber angesichts der arbeitgeberfreundlichen Rechtsprechung der Gerichte bzw. des Schweizer Kündigungsrechts nicht viel. Als Gegenstück wurde dagegen eine wichtige Konzession gegenüber den Arbeitnehmenden gemacht: die Einführung einer Sozialplanpflicht bei Massenentlassungen, also das Obligatorium, einen Sozialplan gemeinsam auszuhandeln und in Kraft zu setzen.
Was heisst Sozialplanpflicht konkret?
Welche Arbeitgeber fallen unter die neue Sozialplanpflicht bei Massenentlassungen? Leider nicht alle. Es muss nur jenes Unternehmen einen Sozialplan aushandeln, das über 250 MitarbeiterInnen beschäftigt und mindestens 30 Angestellte entlassen will. Kommt kein Plan zustande, muss ein Schiedsgericht einen Plan aufstellen. Es muss als verpasste Chance bezeichnet werden, dass Unternehmen mit weniger als 250 MitarbeiterInnen der vorliegenden Sozialplan-Reform nicht unterliegen.
Was soll im Plan stehen? Und wer handelt einen solchen aus? Sozialpläne sollen die negativen Folgen der Kündigung für die Betroffenen abwenden oder mildern, z.B. durch interne Stellenvermittlung, sog. „Outplacement“ (also Finanzierung von externen Schulungen, Kursen, Weiterbildungen) oder frühzeitigen Pensionierungen. Was genau im Sozialplan stehen wird, ist von den Beteiligten zu verhandeln. Diese sind bei einem bestehenden GAV die Sozialpartner, ansonsten die Vertretungen der Arbeitnehmenden, z.B. die Personalkommission. Nicht nur besteht eine Pflicht, über einen Sozialplan zu verhandeln, es besteht auch die Pflicht, einen Sozialplan abzuschliessen. Verweigert ein Arbeitgeber die Verhandlung, macht er sich schadenersatzpflichtig. Alle Entlassungen sind dann als missbräuchlich zu qualifizieren, was wiederum eine Genugtuung gemäss Art. 336a Obligationenrecht nach sich zieht: Dem missbräuchlich gekündigten Arbeitnehmenden sind bis zu sechs Monatslöhnen zu bezahlen. Auch macht sich der Arbeitgeber gegebenenfalls gar strafbar gemäss Art. 292 Strafgesetzbuch (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen). Zu betonen ist: Der Sozialplan gilt nur dann als erstellt, wenn alle Beteiligten einverstanden sind! Sollte dies nicht der Fall sein, weil z.B. die Gewerkschaft die Massnahmen der Arbeitgeber als zu schwach taxiert, muss ein Schiedsgericht entscheiden und einen verbindlichen Sozialplan festlegen.
Schiedsgericht
Wer als Schiedsgericht berufen werden kann, liegt in der Entscheidung der Beteiligten bzw. der Sozialpartner und kann z.B. durch GAV bestimmt sein. Man kann sich aber auch ad-hoc entscheiden für eine kantonale oder eidgenössische Schlichtungsstelle oder z.B. für ein privates Schiedsgericht. Die Kosten (falls welche anfallen) müssen von demjenigen getragen werden, welcher sich diese auch leisten kann, um das Schiedsgerichtsverfahren nicht von vornherein zu verunmöglichen (was sonst rechtsmissbräuchlich wäre!). Dies dürfte regelmässig der Arbeitgeber sein, insbesondere, wenn bei fehlenden Sozialpartnern die Personalkommission in ein privates ad-hoc-Verfahren einwilligt.
Partner des Arbeitgebers bei den Verhandlungen über einen Sozialplan sind also die an einem Gesamtarbeitsvertrag beteiligten Gewerkschaften, wenn der Arbeitgeber selber Partei des betreffenden GAV ist. Anderenfalls hat der Arbeitgeber mit der Peko oder, wenn eine solche in seinem Betrieb fehlt, mit den Angestellten direkt zu verhandeln, was jedoch kaum machbar sein dürfte. Die Arbeitnehmerseite bzw. die Peko darf zu den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über den Sozialplan natürlich Gewerkschaften senden bzw. beauftragen und Sachverständige beiziehen. Diese sind gegenüber betriebsfremden Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet und sollten ihr Verhältnis mit der Belegschaft vorher regeln, z.B. mit einem Vertrag.
Gelangen diese Verhandlungen nicht zu einer Einigung, so wird der Sozialplan gemäss Art. 335j OR durch einen verbindlichen Schiedsspruch eines Schiedsgerichts beschlossen. Das Gesetz gewährt den Parteien volle Freiheit betreffend die Bezeichnung des Schiedsorgans. Das Verfahren vor dem Schiedsorgan richtet sich nach den entsprechenden Bestimmungen in der ZPO (Art. 353 ff.). In einem allfälligen nachfolgenden Konkurs oder bei Durchführung eines Liquidationsvergleichs hat der verbindliche Charakter des Schiedsspruchs zur Folge, dass der Sozialplan nicht mehr angefochten werden kann, auch nicht mit der paulianischen Anfechtung.
Neu nachhaltige Sanierungen möglich
Man sieht: Die Reform bringt Vorteile. Insbesondere ist zu erwarten, dass durch die Sozialplanpflicht und die daraus folgende Verhandlung mit Sozialpartnern und Arbeitnehmenden kreative, nachhaltige Sanierungslösungen gefunden werden. Ein Kahlschlag beim Personal zugunsten weniger Aktionäre: das wird künftig kaum mehr möglich sein. Neu kann vielmehr das Know-How aller Beteiligten in die Rettung von Betrieben einfliessen. Es profitieren die Arbeitnehmenden, die Standortgemeinden und die nachhaltig orientierten Arbeitgeber. Die Heuschrecken dagegen dürften weiterziehen…