Souveränität, Freiheit, Ständemehr und EU-Paket: Argumente für das Paket und gegen das Ständemehr

Blog Daniel Lampart

Die Schweiz ist ein kleines Land mitten in Europa. Unsere Nachbarländler sprechen nicht nur die gleiche Sprache, sondern sie sind uns so ähnlich, dass beispielsweise Hamburg viel mehr Gemeinsamkeiten mit Zürich hat als es Unterschiede zwischen den beiden Städten gibt. Vor diesem Hintergrund ist die fundamentale Kritik der EU-Gegner am neuen Paket zwischen der Schweiz und der EU völlig überzogen. Auch die Kritik, dass wir dadurch viel Freiheit einbüssen, wird der Realität nicht gerecht.   

Die Paket-Gegner kritisieren, dass wir durch das Paket Souveränität abgeben würden - an den Europäischen Gerichtshof («fremde Richter») bzw. an die EU-Organe, welche das EU-Recht machen. 

In Wirklichkeit haben wir bereits in der Schweiz einiges an individueller Freiheit an unsere eigenen Behörden und Gerichte abgegeben – und das freiwillig. Weil wir dank dem Recht und den Gerichten mehr Sicherheit und Lebensqualität haben. Denn diese schützen uns vor Kriminellen und staatlicher Willkür sowie vor dem «Recht» des Stärkeren. Natürlich wollen wir im Alltag möglichst nichts mit den Gerichten zu tun haben. Aber wir wissen, dass wir ruhiger und sicherer leben können, wenn der Rechtsstaat gut funktioniert. Der Schutz vor Willkür und Gewalt gibt uns mehr Handlungsspielraum und Freiheit. 

Das EU-Paket ist nicht das erste Mal, dass die Schweiz internationale Gerichte und internationales Recht anerkennt. In den 1970er-Jahren hat sie die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert; und somit auch den Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof anerkannt. Die Schweiz ist Mitglied der WTO, die zur Streitschlichtung ebenfalls Schiedsgerichte («Panels») einberufen kann. In beiden Fällen erfolgte dies übrigens ohne Ständemehr. Auch die Bilateralen I und II wurden ohne Ständemehr beschlossen.

Die Streitschlichtung im EU-Paket orientiert sich an anderen internationalen Schiedsgerichten – wie z.B. dem WTO-Schiedsbericht. Sie ist nichts grundsätzlich Neues. Die Schweiz anerkennt, dass neu ein Schiedsgericht über Streitigkeiten zwischen der Schweiz und der EU urteilen kann. Und sie anerkennt, dass der Europäische Gerichtshof eine Auslegungskompetenz hat, sofern EU-Recht betroffen ist. Das kann man als Souveränitätsverlust auffassen. Gleichzeitig gibt das EU-Paket der Schweiz mehr Rechtssicherheit und Schutz – und somit auch mehr Souveränität oder Freiheit. Denn neu kann die EU die Schweiz nicht mit beliebigen Massnahmen unter Druck setzen, wie sie das in der Vergangenheit getan hat. Sondern sie kann nur dann Massnahmen gegen die Schweiz ergreifen, wenn das Schiedsgericht das erlaubt. Zudem prüft das Schiedsgericht, ob diese Massnahmen verhältnismässig sind. Im Schiedsgericht hat die Schweiz wie die EU je eine Stimme. Die dritte Stimme ist unabhängig. 

Das EU-Paket sieht auch vor, dass die Schweiz die EU-Rechtsentwicklung übernimmt. Doch das ist kein Zwang. Wenn die Schweiz sich weigert, kann die EU den Fall vor Schiedsgericht ziehen und Gegenmassnahmen ergreifen, sofern das Schiedsgericht dem zustimmt. Beim Lohnschutz hat die Schweiz sogar ausgehandelt, dass sie das EU-Recht nur übernehmen muss, wenn der Schutz gleich bleibt oder besser wird («Non-Regression-Clause»). 

Die Gegner des EU-Paketes verlangen, dass die Abstimmung über das Paket dem Ständemehr unterstellt sein muss. Diese Forderung widerspricht dem Volkswillen in der Bundesverfassung (Art. 140). Deshalb kam das Ständemehr auch bei den bisherigen Bilateralen Verträgen nicht zur Anwendung. Die Geschichte des Ständemehrs geht auf die Gründung des Bundes im Jahr 1848 zurück. Das Ständemehr soll verhindern, dass der Bund den Kantonen mit einem Volksmehr Kompetenzen wegnehmen kann. Unter dem Gesichtspunkt der individuellen Freiheit oder der individuellen Souveränität sollte das Ständemehr sehr zurückhaltend zur Anwendung kommen. Denn eine Urnerin oder ein Glarner kann mit einer Stimme mehr als 30 Züricher:innen überstimmen. Eine so starke Einschränkung oder Ungleichverteilung der Mitbestimmungs- und Freiheitsrechte braucht sehr gute Gründe. 

In welchem Mass kann sich die Schweiz unabhängig von anderen Ländern bewegen? Ist die Schweiz im Alleingang souveräner als in der Kooperation mit anderen Ländern? Die Politik der US-Regierung Trump hat uns wieder einmal vor Augen geführt, wie schnell die Schweiz unter Druck kommen kann. Die kleine Schweiz ist generell wirtschaftlich und sicherheitspolitisch abhängig von anderen Ländern. In der Geschichte hat sich das Land in verschiedenen Kriegs- und Krisenphasen irgendwie durchgewurstelt. Inwiefern das souverän und nicht einfach opportunistisch war, ist eine berechtigte Frage. Seither hat die internationale Abhängigkeit nochmals zugenommen. Ohne Produkte aus dem Ausland läuft in der Schweiz kaum mehr etwas. Die Schweiz ist auf stabile Allianzen mit anderen Partnern angewiesen. Die EU als demokratische und soziale Staatengemeinschaft ist der wichtigste und naheliegendste Partner. Gute und stabile Beziehungen zur EU sind somit auch ein Teil der Freiheit in der Schweiz. 

 

 

 

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