Die Lehre hat in den letzten Jahren auch in der Deutschschweiz an Strahlkraft verloren. Viele Eltern setzen heute alles Mögliche in Bewegung, dass ihre Kinder eine Maturität machen können. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein Grund ist der Lohn: Jede und jeder dritte Beschäftigte arbeitet trotz einem Lehrabschluss für einen Lohn unter 5000 Franken – auf Vollzeit gerechnet. Ein anderer ist Prestige: Akademiker-Eltern wollen oft, dass auch ihre Kinder studieren. Dazu kommt, dass die Arbeitstage während der Lehre in einigen Berufen lang sind und die Ferien kurz.
Diese Entwicklung ist sehr bedauerlich. Die Berufslehre hat viele junge Menschen in der Schweiz grosse Vorteile. Sie ermöglicht es, einen interessanten Beruf zu erlernen und schon früh auf eigenen Beinen zu stehen.
In dieser Situation bräuchte die Schweiz eine Offensive für eine Aufwertung der Lehre. Es braucht höhere Löhne nach der Lehre, mehr Ferien und bessere Arbeitsbedingungen während der Lehre sowie bessere Möglichkeiten für Berufswechsel nach gewerblichen Lehrabschlüssen.
Die Arbeitgeber haben das offenbar noch nicht verstanden. Sie sehen, dass die Lehre ein Problem hat. Doch statt dieses zu lösen, beginnen sie, die Hochschulbildung schlecht zu reden. Die Arbeitslosigkeit bei den Erwerbspersonen mit einem Master-Abschluss sei in den letzten 15 Jahren stark gestiegen, während es weniger Arbeitslose mit einem Lehrabschluss gäbe. Der Tagesanzeiger hat das aufgegriffen. Unkritisch wird kolportiert: «Diese Entwicklung sollte uns alarmieren. Das Angebot an Hochschulabsolventen wächst offenbar schneller als die Nachfrage».
Schauen wir uns die Zahlen im Detail an:
- Seit 2010 ist die Zahl der Hochschulabsolvent:innen unter den Erwerbspersonen um 79 Prozent gestiegen. Die Anzahl der Personen mit einer Lehre ist hingegen um 7 Prozent gesunken. Das erklärt schon mal einen grossen Teil der unterschiedlichen Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit.
- Ein weiterer Grund ist die unterschiedliche Branchenkonjunktur. Im Bau oder im Gastgewerbe, wo viele Leute mit Lehre arbeiten, lief es in den letzten beiden Jahren gut. Im Bau ist die Arbeitslosigkeit leicht gesunken. Im Gastgewerbe hat sie zugenommen, aber weniger stark als in der Gesamtwirtschaft. Anders in Branchen mit vielen Akademiker:innen: Bei den Banken, Versicherungen oder im Bildungs- und Sozialwesen ist die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich angestiegen.
