In Australien wütet die Lohndumping-Epidemie – uns schützen die flankierenden Massnahmen

Blog Daniel Lampart

Gastbeitrag von Joël Bühler

Daniel Lampart hat hier erklärt, weshalb die Personenfreizügkeit mit flankierenden Massnahmen besser funktioniert als das kanadische Punktesystem. Auch Australien nutzt ein solches Punktesystem. Australien gehört wie die Schweiz zu den Ländern mit hoher Einwanderung.

In Australien gibt es gemäss OECD grob drei Wege, wie Erwerbstätige permanent einwandern. Sie können sich entweder für das Punktesystem registrieren; ähnlich wie Kanada wählen die australischen Behörden dann die Personen mit den meisten Punkten (für Bildung, Berufserfahrung, Bezug zu Australien...) für permanente Visa aus. Der zweite Weg ist auf die regionalen Bedürfnisse ausgelegt. Hier lassen die Regierungen der Gliedstaaten gemäss einer Liste mit Mangelberufen selbst Personen einwandern. Über den dritten Weg können Arbeitgeber potenzielle MitarbeiterInnen nominieren, wenn sie Grundvoraussetzungen erfüllen.

In der Realität spielt das Punktesystem (erster Weg) eine immer kleinere Rolle. Nach der globalen Finanzkrise 2008 begann Australien, stärker auf die Nachfrage nach Arbeitskräften zu achten – weil damit gezielter und schneller die Personen rekrutiert werden können, die das Land wirklich braucht. Auswertungen der OECD zeigen, dass diese Personen seltener arbeitslos oder überqualifiziert sind als EinwandererInnen aus dem Punktesystem.Link

Obwohl Australien offiziell als Einwanderungsland für Fachkräfte gilt, sind immer mehr MigrantInnen geringqualifiziert (Wright und Clibborn (2018)). Fast eine Million Menschen mit temporären Visa sind in Australien, vor allem Studierende und Backpacker. Sie arbeiten mehrheitlich in Niedriglohnjobs: in der Gastronomie und Hotellerie, im Detailhandel oder in der Industrie.

 

Die temporären ArbeiterInnen sind systematischem Lohnbetrug ausgeliefert. In Australien gilt zwar ein allgemeiner Mindestlohn von gut 19 australischen Dollar (umgerechnet 13 Franken) und höhere Mindestlöhne je nach Aufgabe. Unregelmässig Beschäftigte erhalten einen Zuschlag von 25%. Bei Lohnkontrollen in 1200 Betrieben haben Unternehmen aber sehr oft zu tiefe Löhne bezahlt. 35% verstiessen gegen Lohnbestimmungen, wie der Ombudsman FairWork der australischen Regierung berichtetPwC schreibt, dass jährlich umgerechnet eine Milliarde Franken Löhne illegal zurückbehalten werden und ungefähr 13% der Beschäftigten betroffen sein dürften. Eine Umfrage der Universität von New South Wales zeigt, welche Konsequenzen das für die Beschäftigten hat:

  • 30% der befragten TemporärmigrantInnen hatten einen Lohn unter 12 australischen Dollar, was der Hälfte des Mindestlohnes auf unregelmässigen Stellen entspricht
  • 46% verdienten weniger als 15 Dollar – immer noch ein Drittel weniger als der Mindestlohn
  • Besonders gross waren die Probleme in der Gemüseernte und Landwirtschaft

Der australische Gewerkschaftsbund findet drastische Worte für die «systematische» und «weit verbreitete» Verletzung der Arbeitsgesetze. Das Problem ist, wie die Politik Mindestlöhne und gering qualifizierte Arbeit verknüpft: Möchte ein Land auch geringer qualifizierte Einwanderung und hat Mindestlöhne, dann muss die Politik diese kontrollieren und Verstösse schwer bestrafen. Nur so kann man durch Mindestlöhne TieflöhnerInnen schützen (Eden und Rapoport, 2019).

Genau das macht die Schweiz mit den flankierenden Massnahmen. Weil das in Australien nicht geschieht (vgl. Daley 2019), wütet trotz «eigenständiger Steuerung» der Migration die Lohndumping-Epidemie.

Top