Die Berufslehre gehört zum Schweizer Nationalstolz. Was macht es mit dem Land, wenn es nun erstmals mehr Hochschulabsolvent:innen als Berufstätige mit einer Lehre gibt? Diese Frage wird voraussichtlich ab dem nächsten Jahr beantwortet werden. Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre weiterführt, so dürften rund 31.5 Prozent der 25-64-Jährigen einen Hochschulabschluss haben und nur noch rund 30.5 Prozent eine abgeschlossene Lehre. Dazu kommt, dass der Anteil der Bevölkerung ohne Berufsabschluss wieder gestiegen ist.
Erstmals mehr Studierte als Berufstätige mit Lehre in der Schweiz. Es braucht ein Programm zur Stärkung der Lehre
Anteil 25-64-Jährige nach höchster abgeschlossener Ausbildung

Die Bedeutung der Lehre nimmt seit ein paar Jahren stark ab. Gemessen an der 16-19-jährigen Wohnbevölkerung sind immer weniger junge Menschen in einer Berufslehre. Vor allem in den letzten Jahren ging es merklich abwärts. Was die Gründe sind, ist nicht abschliessend geklärt. Die Verantwortlichen bei den Arbeitgebern, bei Bund und Kantonen wollen es teilweise auch nicht wissen, weil sie sonst etwas ändern müssten.
Bestand der Lernenden im Verhältnis zur Wohnbevölkerung im Alter von 16-19 Jahren

Bekannt ist, dass Akademiker-Eltern viel dafür tun, dass auch ihre Kinder studieren. Dazu kommt die geringere Attraktivität der Lehre. In zahlreichen Branchen und Berufen verdient man auch mit Lehre weniger als 5000 Franken im Monat, sei es im Detailhandel, in den Kitas oder in Apotheken. Lernende müssen in Betrieb nicht nur schnell voll mitarbeiten, sondern auch in die Schule und Prüfungen machen. Dennoch haben sie deutlich weniger Ferien als ihre Kolleg:innen im Gymi. Vor allem in gewerblichen Berufen sind die Weiterbildungsmöglichkeit nach der Lehre beschränkt – im Unterschied zum KV, wo den Lernenden viele Wege offenstehen, die sie auch nutzen.
Arbeitgeber und Deutschschweizer Kantone sehen immer noch nicht, dass man die Lehre für Erwachsene öffnen bzw. zugänglicher machen muss. In Branchen wieder Langzeitpflege hat rund ein Viertel der Mitarbeiter:innen keinen Berufsabschluss. Das sind oft Frauen, die über den Familiennachzug oder über einen anderen Migrationsweg in die Schweiz gekommen sind. Die heutigen Angebote sind ungenügend und bürokratisch schwerfällig. Viele dieser Menschen haben Kinder. Sie müssen ein gewisses Einkommen haben und können nicht einfach wie Jugendliche eine Lehre machen. Dazu kommt, dass der Bedarf an Pflegefachkräften steigen wird.
Die Schweiz braucht ein Programm, damit die Lehre attraktiver wird:
- Die Lernenden müssen mehr Ferien haben und besser betreut werden. Der SGB fordert 8 Wochen Ferien.
- Die Löhne nach der Lehre müssen zum Leben reichen. 5000 Franken im Monat sollten das Minimum sein. Heute verdient rund ein Drittel der Berufsleute mit abgeschlossener Lehre weniger als diesen Betrag. Besonders tief sind die Löhne in so genannten Frauenberufen.
- Es braucht erwachsenengerechte Programme, den Lehrabschluss nachzuholen. Wer bereits länger im Beruf arbeitet, soll beispielsweise auf unbürokratische Weise eine Anrechnung seiner bereits erworbenen Fähigkeiten erhalten, so dass sich die Ausbildungszeit verkürzt.
- Wer im gewerblichen oder in einem ähnlichen Bereich eine Lehre gemacht hat, soll einen ähnlichen Zugang zur höheren Berufsbildung erhalten wie KV-Absolvent:innen.