Daher gab es auch viel weniger politischen Druck, den Arbeitnehmerschutz zu verbessern. Die Schweiz hatte ein schwaches Arbeitsgesetz, weil sie es sich im Vergleich zu anderen Ländern eher «leisten konnte». Somit ist es eher umgekehrt als heute manchmal behauptet wird. Die Schweiz hat einen geringeren Arbeitnehmerschutz, weil sie eine tiefe Arbeitslosigkeit hatte. Und nicht: Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist geringer, weil der Arbeitnehmerschutz schwächer war. Zumal das mit der Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich heute gar nicht mehr stimmt. Die international vergleichbare Erwerbslosenquote ist in der Schweiz mittlerweile höher als in Deutschland. Die Erwerbslosenquote zählt u.a. die Ausgesteuerten mit und liegt bei hohen 5 Prozent.
Die Schweiz ist ziemlich weit von Vollbeschäftigung entfernt. Für die Schweizer Arbeitnehmenden ist das keine gute Nachricht. Grundsätzlich ist die Geld- und Finanzpolitik gefragt. Die Nationalbank, mehr Anstrengungen zu unternehmen, dass der Franken wieder fair bewertet ist und sich in berechenbaren Bahnen bewegt. Die Kantone sollten die vielen Reserven, die sie in den letzten Jahren aufgehäuft haben, der Bevölkerung endlich in Form von Krankenkassen-Prämienverbilligungen zurückerstatten.
Diese Massnahmen werden die Probleme entschärfen, aber nicht lösen. Dazu braucht es weitere Anstrengungen. Zur Aufwertung der Lehre, bei der Integration von Arbeitslosen, bei der Aus- und Weiterbildung sowie bei der Eindämmung von prekären Arbeitsformen.
Die Arbeitsbedingungen haben sich seit den 1990er-Jahren verschlechtert. Exemplarisch ist der starke Anstieg der Temporärarbeit. Der Anteil am gesamten Arbeitsvolumen stieg von 0.5 auf heute über 2.5 Prozent. Der Schutz der Arbeitnehmenden muss der neuen, schlechteren Situation angepasst und verbessert werden.