Italiens Politik hätte Dringlicheres zu tun, als vorzeitige Wahlen vom Zaun zu reissen. Maurizio Landini, Generalsekretär der Gewerkschaft CGIL, sagt: «Für uns finden diese Wahlen zur Unzeit statt. Es liegen so viele dringliche Dinge auf dem Tisch, welche die Regierung lösen müsste.» In der Tat: Für Milliarden EU-Gelder müssen rechtzeitig Investitionsanträge eingereicht werden, Ministerpräsident Mario Draghi ist noch Garant dafür.
Die Teuerung steigt, und es wird immer deutlicher, wie viele Armutslöhne es in Italien noch gibt. Ein Fünftel aller Beschäftigten arbeiten für weniger als 9 Euro pro Stunde. Arbeitsminister Andrea Orlando machte deshalb Vorschläge, um solche Löhne zu verbannen. Im Gesundheitswesen wollte der populäre linke Gesundheitsminister Roberto Speranza Konsequenzen aus dem Corona-Desaster ziehen. Die Grosse Koalition unter Ministerpräsident Draghi war zwar kein linkes Projekt. Aber unter dem Druck der akuten sozialen Probleme wären noch einige dringliche Reformen dringelegen. Mit der jüngsten Palastrevolte sind diese Hoffnungen geplatzt.
Gefährlicher Pakt
Die Protestpartei Cinque Stelle hat in den letzten beiden Jahren mit ihrem Zickzackkurs zwei Drittel ihrer Zustimmungswerte verloren. Da wollte sich ihr Präsident Giuseppe Conte gegenüber Ministerpräsident Draghi profi lieren und spielte mit dem Regierungsaustritt. Der Rechtsaussen Matteo Salvini von der Lega nützte die Situation aus. Er sah die Gelegenheit gekommen, als Innenminister – wie schon mal von 2018 bis 2019 – ungeniert gegen Migrantinnen und Migranten vorzugehen. Auch der grässliche Silvio Berlusconi witterte seine letzte Chance, nochmals in Amt und Würde zu kommen. Lachende Dritte war die Chefi n der rechtsextremen Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, die sich schon als Ministerpräsidentin sah. In Berlusconis Römer Villa besiegelten diese drei im Juli ihren gefährlichen Pakt und stürzten die Regierung Draghi.
Bekannte Probleme
Alle wissen: die Rechte wird gewinnen, fragt sich nur, wie hoch. Für die Gewerkschaften bleiben die Aufgaben unverändert. CGIL-Chef Landini sagt: «Wir haben schon viele Regierungswechsel überlebt. Wer auch immer die nächste Regierung bildet, dem werden wir die gleichen Probleme vor Augen führen.» Und kündigt erste Mobilisierungen bereits auf zwei Wochen nach den Wahlen an.