Am 18. April 2023 veröffentlichte der österreichische EU-Abgeordnete Lukas Mandl seinen Entwurf für einen Parlamentsbericht zu den Verhandlungen der EU mit der Schweiz. Darin verlangte er eine Schwächung der flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz, da sich die schweizerischen Bedenken, die es früher auch in anderen Staaten gegeben habe, «nicht bewahrheitet haben». Dumm nur, dass am selben Tag alle Rednerinnen und Redner in einer EU-Parlamentsdebatte dieser falschen Behauptung Mandls einhellig widersprachen.
Lohnbetrug
Zur Debatte kam es dank 60 georgischen, usbekischen und tadschikischen LKW-Fahrern, die seit Wochen auf der deutschen Autobahnraststätte Gräfenhausen streiken. Der Streik der Trucker gegen den Lohnbetrug der polnischen Firmengruppe Mazur, die in der Schweiz auch Coop und Post belieferte, machte internationale Schlagzeilen.
Schlupflöcher
Die «mutigen Männer» von Gräfenhausen beeindruckten auch Dennis Radtke, den Sprecher der Europäischen Volkspartei, der auch Mandl angehört. In der Debatte erinnerte Radtke an den harten Widerstand seiner Kolleginnen und Kollegen gegen das EU-Lohnschutzpaket im Transportsektor. Die Mobilitäts-Paket-Richtlinie wurde im Juli 2020 dennoch verabschiedet. Seitdem gilt das Lohnschutzprinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort» der EU-Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmenden von 2018 endlich auch im Transportsektor. Für Radtke macht der Streik jetzt deutlich: «Wir haben kein Regelungsdefizit mehr auf europäischer Ebene, sondern wir haben ganz offensichtlich ein Vollzugsdefizit.»
Die Sozialdemokratin Gaby Bischoff doppelte nach: «Was hilft die beste Gesetzgebung, wenn sie nicht richtig implementiert wird?» Die Grüne Terry Reinke verlangte «viel engmaschigere Kontrollen». Und Özlem Demirel von der linken Fraktion forderte, dass die «Schlupflöcher» im komplizierten EU-Rechtssystem endlich geschlossen werden, zumal Arbeitgeber unzufriedenen Beschäftigten aus Nicht-EU-Staaten einfach mit «Ausweisung» drohten. Sogar Elżbieta Rafalska von der rechtskonservativen ECR-Fraktion verlangte, dass alle Fahrer gleichbehandelt werden, ob sie nun «Georgier, Usbeken oder Bürger anderer Länder sind», denn «wir Polen wissen, wie es ist, wenn man auf dem Arbeitsmarkt schlecht behandelt wird».
Lohnkontrollen
Laut Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Arbeit und Soziales, gibt es «tatsächlich einen Bedarf an kontinuierlicheren und strengeren Kontrollen» und an «Sanktionen, die in der Praxis auch wehtun». Die schwedische EU-Ministerratspräsidentin, Jessika Roswall, sagte: Auch die Sozialpartner müssen beim Lohnschutz eine «zentrale Rolle» spielen. Trotzdem besteht die EU weiterhin auf einer Schwächung des sozialpartnerschaftlichen Lohnschutzes in der Schweiz. Auch deshalb ist der grenzüberschreitende Trucker-Streik so wichtig.