Welch schöne neue Welt hatte der Kapitalismus noch vor wenigen Jahren versprochen: nichts weniger als die Befreiung von der Lohnknechtschaft. Den Freelancerinnen und Freelancern gehöre die Zukunft. Lohnabhängige galten als Auslaufmodelle und die Gewerkschaften ebenso. Die neuen Selbständigen würden endlich autonom nach ihren Bedürfnissen arbeiten können. So die Ideologie. Millionen wagten sich in diese neue Wunderwelt, oder sie wurden hineingeworfen. Doch schon bald zeigte sich: Es fehlt ihnen an Schutz. Etwa wenn sie erkranken oder die Aufträge ausbleiben.
Die neoliberalen Ideologen fanden schnell eine Lösung: Zwischen der Selbständigkeit und der Lohnabhängigkeit müsse bloss ein dritter Status her. Und überall in Europa machte die Politik Vorstösse in diese Richtung. Auch in der Schweiz.
Spanien macht's vor
Die Gewerkschaften hielten von Anfang an dagegen. Denn die Freelancerinnen und Freelancer bei Uber, Deliveroo und Co. sind scheinselbständig. Sie arbeiten im Auftrag eines Arbeitgebers, also sind sie lohnabhängig. Bloss haben sich ihre Chefs einfach von ihren Pflichten verabschiedet. Vielerorts klagten die Gewerkschaften gegen Uber und Co.
Und die Fahrerinnen und Fahrer, die «riders» in Italien und Spanien und die Taxifahrenden in Grossbritannien und der Schweiz begannen sich zu wehren. Mit Erfolg! Im März 2021 unterzeichneten die italienischen Gewerkschaften mit dem Essenslieferservice Just Eat einen Gesamtarbeitsvertrag. In Grossbritannien, Frankreich, den Niederlanden und auch in Genf gaben Gerichte den klagenden «riders» recht und bestätigten: Sie seien tatsächlich Lohnabhängige. In Spanien trat im Sommer die sogenannte Lex Riders in Kraft. Das Gesetz schützt die Rechte der Lohnarbeitenden bei Lieferdiensten.
Erster Sieg.
Nun ist die EU gefordert. Im September hat ihr Parlament mit grosser Mehrheit einen Bericht verabschiedet, der die Stossrichtung des spanischen Gesetzes aufnimmt. Die EU-Kommission berät jetzt eine Richtlinie. Immerhin: In Sachen Plattformarbeit haben die Gewerkschaften den Luftkrieg gegen die Neoliberalen gewonnen. Aber jetzt lobbyieren die Logistikmultis bei der EU-Kommission und wollen die Richtlinie bodigen. Der Kampf ist also noch lange nicht vorbei.