Aus Schweizer Tradition der Grundrechte: Nein zur Anti-Menschenrechts-Initiative

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Verfasst durch Luca Cirigliani

Juristische Gedanken zur SVP-Initiative von SGB-Zentralsekretär Luca Cirigliani

Die Schweizer Gerichte und besonders auch das Bundesgericht haben sich im internationalen Vergleich schon sehr früh offen für Völkerrecht und Menschenrechte gezeigt. Seit letztem Dezember nimmt nun auch das Recht der Internationalen Arbeitsorganisation ILO einen zentralen Platz ein in der Rechtsprechung der Schweizer Gerichte, wenn es um den Schutz der Menschenrechte insbesondere von Arbeitnehmenden und GewerkschafterInnen geht.

Völkerrecht und Bundesverfassung Hand in Hand

Wie Studien zeigen, spielt das Völkerrecht in der Rechtsprechung des höchsten Schweizer Gerichts eine sehr wichtige Rolle, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK. Dies kann insbesondere damit erklärt werden, dass die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen nach der Ratifikation der EMRK dem Bundesgericht die Möglichkeit gab, einen Grundrechtsschutz herzustellen, welcher eine grundrechtskonforme Auslegung unserer Bundesverfassung und Gesetze ermöglichte. Der Menschenrechtsschutz wird gegenüber Bundesgesetzen höher gewichtet.

Seit 1959 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR (bzw. seine Vorgängerorganisation) immer wieder zugunsten von Arbeitnehmenden entschieden und ILO-Standards Rechnung getragen. Jeder Schweizer und jede Schweizerin kann vor dem EGMR klagen, falls er oder sie seine/ihre Rechte verletzt sieht.

Traditioneller Schutz durch Menschenrechte in der Schweiz

In der Schweiz wurden im Vergleich zum benachbarten Ausland schon sehr früh Menschenrechte kodifiziert und v.a. in ständiger Rechtsprechung angewendet. In den Nachbarländern dagegen kam es nach dem Scheitern der französischen Revolution zu einem Rückfall in alte Zeiten ohne Menschenrechtsschutz.

Einen grundlegenden Durchbruch brachte die erste Bundesverfassung von 1848. Diese enthielt einen Katalog von Menschenrechten, die sich u.a. aus denjenigen der französischen Revolution herleiteten. Gegen Verletzungen dieser in den Verfassungen von Bund und Kantonen garantierten Freiheitsrechte konnte neu jede Einzelperson eine staatsrechtliche Beschwerde damals noch an den Bundesrat und letztinstanzlich an die Bundesversammlung richten.

Die Freiheitsrechte waren bereits sehr früh nicht mehr nur Grundsätze, also Richtlinien an den Gesetzgeber, sondern subjektive Rechte des Einzelnen, der sich so gegen einen (übermächtigen) Staat wehren konnte. Im Fall einer Verletzung z.B. durch die Polizei oder einer Verwaltunsgbehörde konnte der Bürger seine Grundrechte mit einer Individualbeschwerde durchsetzen. Hier war die Schweiz dem Ausland voraus.

Die verfassungsmässigen Rechte wurden in den Revisionen der Verfassung 1866, 1874, 1969 und 1971 ergänzt und gestärkt, dies besonders unter dem Eindruck der EMRK, der ILO-Standards und anderen Völkerrechts.

Ab 1874 übertrug der Bundesgesetzgeber die Rechtsprechung über verfassungsmässige Rechte immer mehr dem Bundesgericht, welches nach 1911 nahezu allein zuständig wurde. Mit der Gründung der ILO und später der UN-Menschenrechtpakte bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde das Völkerrecht für die Schweizer Gerichte immer wichtiger und diente dazu, die eigene Verfassung besser zu konkretisieren und zur Geltung zu bringen.

Völkerrecht hilft: Das Beispiel Zutritts- und Informationsrechte der Gewerkschaften

Das Bundesgericht hat erst kürzlich wieder die Gelegenheit ergriffen, in BGE 144 I 50 (Urteil 2C_499/2015 vom 6 September 2017) das von Völkerrecht und Verfassung garantierte Menschenrecht zu stärken. Aus der Gewerkschaftsfreiheit, wie sie in Art. 28 BV garantiert ist, und in Anwendung von Art. 11 EMRK und der einschlägigen ILO-Normen leitete das Bundesgericht für die Gewerkschaften ein grundsätzliches Recht auf Zutritt- und Informationsrechte am Arbeitsplatz her.

Zu entscheiden war über eine Klage der Gewerkschaft VPOD, die sich gegen einen Regierungsbeschluss des Kantons Tessin richtete. Der Kanton unterwarf als Arbeitgeber den Zutritt zu seinen Gebäuden sowie die Ausübung gewerkschaftlicher Tätigkeiten im Gebäudeinnern bestimmten, sehr restriktiven Bedingungen. Die angefochtene Regelung sah vor, dass der Zutritt den Gewerkschaften im Grundsatz nicht gestattet war, ausser nach vorgängiger Bewilligung durch die Staatskanzlei. Das Auflegen von Flyern oder Zeitschriften konnte nicht autonom erfolgen, sondern es musste laut Regierungsbeschluss über die örtliche Gebäudeverwaltung ein Antrag gestellt werden.

Anhand dieses Sachverhaltes hatte das Bundesgericht zu entscheiden, ob aus Art. 28 BV, Art. 11 EMRK (sowie Art. 22 UNO-Pakt II, Art. 8 UNO-Pakt I) den Gewerkschaften ein Recht auf Zugang und Information am Arbeitsplatz zusteht.

Dies wurde bejaht. Aus BV, EMRK sowie den ILO-Konventionen 87 und 98 folgt für das Bundesgericht, dass im vorliegenden Fall den Gewerkschaften im öffentlichen Sektor grundsätzlich das Recht auf Zugang zu den Gebäuden des Arbeitgebers zu gewähren ist. Denn nur damit wird den Gewerkschaften die effektive Möglichkeit garantiert, alle Tätigkeiten auszuüben, die geeignet sind, die Organisation und Sozialpartnerschaft funktionsfähig zu erhalten und ihre statutarischen Ziele zu verfolgen.

Schutz der Menschenrechte nicht aufgeben

Gerade solche Rechtsgarantien will die SVP nun am 25.11. mit ihrer Anti-Menschrechts-Initiative abschaffen. Mit der Änderung von Art. 190 der Bundesverfassung verlangt die Initiative, dass für das Bundesgericht (und alle anderen rechtsanwendenden Behörden) nur noch völkerrechtliche Verträge massgebend sind, welche dem Referendum unterstanden. Betroffen wären von der Initiative nicht nur die EMRK sondern auch 43 ILO-Konventionen, welche die Schweiz zum Schutz der Arbeitnehmenden ratifiziert hat!

In der Schweiz schützt uns keine Verfassungsgerichtsbarkeit davor, dass Bundesgesetze unsere durch die Grundrechte geschützten Freiheiten verletzen. Deshalb ist im bestehenden Art. 190 der Bundesverfassung eine Sicherheit eingebaut: Auch Völkerrecht wie EMRK- oder ILO-Recht ist massgebend. So erfüllt das von der Schweiz ratifizierte Völkerrecht diese Funktion. Denn das Völkerrecht via EMRK und ILO-Konventionen garantiert weitgehend die gleichen Grund- und Menschenrechte wie unsere Verfassung.

Gleichzeitig geht dieses Völkerrecht aber häufig mehr in die Details und gibt präzisere Vorgaben, wie die Rechte auszugestalten sind. Neben dem oben erwähnten Beispiel, bei dem Gewerkschaften Zutritts- und Informationsrechte erstritten, gibt es weitere Erfolge für Arbeitnehmende in der Schweiz aus der Anwendung von internationalem Recht. So konnte aufgrund von SGB- und VPOD-Klagen vor der ILO festgestellt werden, dass die Schweiz ihr wenig arbeitnehmerfreundliches Kündigungsrecht im Obligationenrecht (OR) reformieren muss. Weiter hat der EGMR zum Beispiel jüngst festgehalten, dass die Verjährungsregeln im Falle von Schweizer Asbestopfern willkürlich sind und den Betroffenen Unrecht getan wurde. All das sind Siege für die Arbeitnehmenden in der Schweiz, die ohne völkerrechtlichen Grundrechtsschutz undenkbar gewesen wären.

Um diesen Schutz zu erhalten, braucht es am 25. November 2018 ein Nein zur Anti-Menschenrechts-Initiative.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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