Pflegerin mit Seniorin im Heim

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Pflege: Nach dem Klatschkonzert braucht es nun endlich Taten!

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Verfasst durch Reto Wyss

Das Parlament muss die Grundversorgung stärken

Es ist ganz einfach: Dem Klatschkonzert während der Corona-Krise müssen nun konkrete Taten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege folgen. Der Handlungsbedarf ist schon lange gegeben, das hat die COVID-Pandemie hoffentlich auch den letzten ZweiflerInnen im Parlament klargemacht.

In einer im Jahr 2019 – also lange vor Corona – beim Pflegepersonal durchgeführten Umfrage der Unia zur Langzeitpflege gaben 28 Prozent der Befragten an, einmal oder mehrmals berufsbedingt einen Monat oder länger krankgeschrieben gewesen zu sein. Bei 30 Prozent der Pflegenden wird die gesetzliche Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Schichten monatlich mehr als fünfmal gebrochen. Und von den PflegeassistentInnen gaben 59 Prozent einen Lohn von unter 4000 Franken bei Vollzeitarbeit an.

Realitätsverweigerung muss Vergangenheit sein

«Wer einen Pflegeberuf wählt, hat nicht primär den Lohn vor Augen, sondern eher ein Ideal» ist alles, was Christian Schär, Präsident des Zürcher Spitalverbands, zu dieser Situation zu sagen hat («NZZ», 8.4.2020). Etwa ähnlich schlau äusserte sich der vielzitierte Gesundheitsberater Willy Oggier: «Wenn man nun deren Löhne [die Löhne der Pflegenden] pauschal erhöht, besteht die Gefahr, dass viele ihr Pensum reduzieren» («Bund», 25.5.2020). Pensenreduktion aufgrund zu guter Bezahlung! – das sei also, was die Pflegenden im Sinn hätten.

Solche und ähnliche realitätsfremde, ja herabwürdigende Äusserungen zur Lage des Pflegepersonals gehören nach Corona nun hoffentlich definitiv der Vergangenheit an. Denn der Fall ist klar: Bis ins Jahr 2030 braucht es hierzulande 65'000 zusätzliche Pflegende. Dabei beschäftigt bereits heute kein westliches Land mehr im Ausland ausgebildetes Pflegepersonal, als die Schweiz. Gleichzeitig beträgt die durchschnittliche Berufsverweildauer nur gerade 15 Jahre, was vor dem Hintergrund der oben zitierten Umfrageergebnisse zu Stress und Bezahlung in der Pflege nicht verwundert. Die Therapie ist also ebenso klar wie die Diagnose: Die Schweiz muss massiv mehr Pflegepersonal ausbilden (insbesondere Pflegefachpersonen) und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen in der Pflege stark verbessern. Klar ist: Nicht nur die Arbeitnehmenden selbst, sondern auch die Bevölkerung fordert mit Vehemenz bessere Bedingungen in der Pflege. Dies zeigt exemplarisch die vom VPOD lancierte Petition «Stand by your nurse», welche inmitten der Coronakrise in Windeseile mehr als 80'000 Unterschriften erreicht hat.

Nun die Pflegeinitiative umsetzen

Dies sind beides zentrale Forderungen der vom SGB unterstützten Pflegeinitiative des SBK, zu welcher schon länger die parlamentarischen Beratungen laufen. Der Nationalrat hat dazu Ende 2019 einen indirekten Gegenvorschlag verabschiedet, der zwar weit hinter den unabdingbaren Forderungen der Initiative zurückblieb, jedoch eine gute und ausbaubare Grundlage lieferte. Doch die vorberatende Kommission des Ständerats hat diese Chance verpasst und den Gegenvorschlag stattdessen weiter zusammengestrichen und krankenkassenfreundlich umgebaut. An die Stelle des Klatschkonzerts ist nun also abermals die Realitätsverweigerung getreten. Der Ständerat hat es in der Sommersession aber in der Hand, diese Entscheide zu korrigieren und endlich substanziell für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege zu sorgen. Denn – um auf die Lehren der Corona-Krise zurückzukommen – wer weiss: Vielleicht schliessen Frankreich und Italien während der nächsten Pandemie die Grenzen nicht nur für Ferienreisende, sondern auch für Ihre Tausende GrenzgängerInnen, welche während der Corona-Krise unermüdlich an den Schweizer Pflegebetten ausharrten (und dies insbesondere in den von COVID am stärksten betroffenen Kantonen Tessin und Genf). Nicht auszudenken, zu welchen «Überschwemmungen» die Infektionswelle dann hierzulande führen würde.

Viele Versorgungsfragen abseits des Personals

Über den Personalbedarf hinaus hat Corona aber auch die Dringlichkeit von Versorgungsfragen neu in den Fokus gerückt. So hat es anfänglich teilweise akut an Schutzmaterial gemangelt, was leicht zu verhindern gewesen wäre und in Zukunft hoffentlich auch verhindert werden wird. Komplexer steht es aber um die Verfügbarkeit von lebensnotwendigen Medikamenten. Zwar werden hierzulande zum Beispiel 70 Prozent des Generikamarktes durch zwei inländische Firmen abgedeckt, doch beziehen diese die für ihre Produktion nötigen Wirkstoffe fast ausschliesslich von ein paar wenigen Fabriken in China. Dass eine solche einseitige Abhängigkeit vom Ausland bei gleichzeitiger Konzentration auf wenige Handelspartner problematisch sein kann, haben nicht erst die nach dem Ausbruch der Pandemie unterbrochenen weltweiten Lieferketten gezeigt. Denn bereits zuvor waren etwa bei der Verfügbarkeit von Antibiotika und Impfstoffen immer häufiger Engpässe aufgetreten. Eine Wiederaufnahme der Produktion lebensnotwendiger Medikamente im Inland ist daher ernsthaft in Betracht zu ziehen, ebenso eine dauerhafte Stärkung der Armeeapotheke und gezielte langfristige Investitionen in die Forschung an übertragbaren Krankheiten. Das Parlament befasst sich in der Sommersession richtigerweise auch mit diesen Fragen.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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