Zugang zu Tageslicht ist ein Menschenrecht!

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Verfasst durch Luca Cirigliano

Migros muss kompensatorisch für bezahlte Pausen sorgen

In einem historischen Urteil hat das Verwaltungsgericht Zürich entschieden, dass die Sicht aufs Freie und damit der Zugang zu Tageslicht integraler Bestandteil des Gesundheitsschutzes ist. Das Schweizer Arbeitsrecht garantiert den Arbeitnehmenden entweder einen Arbeitsplatz mit Fenstern oder, wenn dies nicht möglich ist, verlängerte – und bezahlte! – Pausen an einem Ort, wo Tageslicht bzw. Sicht aufs Freie garantiert sind.

Das Arbeitsgesetz und seine Verordnung sind im Bereich der Gestaltung von Arbeitspausen und Pausenräume klar. Pausenorte müssen alle Anforderungen zum Schutz der Gesundheit gemäss Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (Art. 15 und 24 ArGV 3) respektieren. Diese Minimalbedingungen sind:

– Sicht ins Freie muss garantiert werden.

– Der Pausenort muss vom Arbeitsplatz räumlich abgetrennt sein.

– Der Ort muss sauber, ruhig und mit einer Sitzgelegenheit versehen sein.

– Man muss eine Möglichkeit haben, dort etwas essen zu können.

– Trinkwasser muss gratis zur Verfügung stehen.

 Arbeitsgesetz, obwohl klar, immer wieder verletzt

Leider versuchen gewisse Arbeitgeber immer wieder, auf Kosten der Gesundheit ihrer Arbeitnehmenden zu sparen. So auch die Migros im Shop-Ville/Rail-City des Bahnhofs Zürich. Einerseits werden hier Arbeitnehmenden sehr lange Arbeitsstunden zugemutet: Die Läden öffnen bereits um 6.30 Uhr, gehen häufig aber erst um 22 Uhr zu; gearbeitet wird sogar an Sonn- und Feiertagen… Andererseits wird die Arbeit unter künstlichem Licht bzw. in schummrigen Diensteingängen und „Tunnels“ verrichtet.

Bei dieser Arbeit „unter Tage“ riskieren die Arbeitnehmenden viel. Studien zeigen nämlich, dass das Fehlen von Tageslicht mit der Zeit gravierende Störungen der Gesundheit mit sich bringen kann, u.a. wegen dem Fehlen von Melatonin (vgl. http://www.fvlr.de/tag_sichtmedizin.htm). Auch haben verschiedene internationale Organisationen festgehalten, dass ein minimaler Zugang zu Tageslicht als eigentliches Menschenrecht zu werten ist, welcher aus dem Persönlichkeitsschutz des Individuums fliesst: Diese Doktrin wurde nicht zuletzt bei Arbeitnehmenden von Bergwerken, aber auch für Insassen von Anstalten entwickelt. In der Schweiz wird sie aber leider immer noch nicht konsequent umgesetzt, obwohl die gesetzlichen Grundlagen vorhanden sind.

Kompensatorische Massnahmen

Wenn der Arbeitsplatz wegen zwingenden technischen oder baulichen Bedingungen keine Sicht aufs Freie bzw. keinen Tageslicht-Einfall erlaubt, sind obligatorische „kompensatorische“ Massnahmen für die so in ihrer Gesundheit gefährdeten Arbeitnehmenden vorzusehen. Dazu können folgende Punkte gehören:

- Rotation der Arbeitnehmer als organisatorische Massnahme.

- Bezahlte Zusatzpausen mit Tageslicht von mindestens 20 Minuten pro Halbtag (=4 Stunden).

Leider weigerte sich die Migros, hier das Gesetz korrekt zu implementieren. Insbesondere wollte die Migros die Zusatzpausen von je 20 Minuten pro Halbtag nicht bezahlen. Zwar gestand der Detaillist ein, dass diese für die Gesundheit notwendig seien. Es wollte aber offenbar auf Kosten der Gesundheit sparen. Die Angestellten hätten diese Pausen auf eigene Rechnung, also unbezahlt, nehmen sollen. Dabei hatte ja die Migros, da sie keine baulichen Massnahmen ergreifen wollte, um Tageslicht einzulassen oder zumindest eine Rotation der Arbeitnehmenden zu gewähren, diese unmöglichen Arbeitsbedingungen selbst zu verantworten.

Das Verwaltungsgericht Zürich hielt deshalb in seinem Grundsatzurteil, das jetzt in begründeter Form vorliegt und welches seit Ende Oktober rechtskräftig ist, folgendes fest: Gesundheitsschutz ist Sache des Arbeitgebers und wenn er Risiken zu verantworten hat (wenn er z.B. kein Tageslicht in seinen Räumlichkeiten einlassen will oder keinen Pausenraum mit Sicht aufs Freie herrichtet), muss er für die kompensatorischen Massnahmen auch finanziell aufkommen. So auch für die Pausen, die mindestens 20 Minuten pro Halbtag betragen und wie Arbeitszeit bezahlt werden müssen. Damit wurde die juristische Leitplanke für alle vergleichbaren Arbeitsorte rechtskräftig festgesetzt.

Urteil hat Konsequenzen für alle Branchen

Nun gilt es, die durch die Judikative konkretisierten Bestimmungen von Art. 15 und 24 ArGV 3 in allen Betrieben und Branchen durchzusetzen. Gerade im Detailhandel gibt es hier noch viel zu tun. Denn die Arbeitgeber haben es bisher aus unverständlichen Gründen versäumt, Licht in Gebäude zu lassen. Im Gegenteil: Häufig werden in Läden sogar die Fenster durch Werbung zugeklebt, und die Gesundheit der Angestellten wird so leichtfertig gefährdet.

Aber auch in der Logistik, z.B. bei Angestellten von Kühllagern oder Magazinen, herrscht Anpassungsbedarf. Das betrifft insbesondere die kompensatorischen Massnahmen der bezahlten Zusatzpausen von je 20 Minuten pro Arbeitstag.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

031 377 01 11

reto.wyss(at)sgb.ch
Reto Wyss
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